Gut, besser, zeitlos

Prof. Karl Clauss Dietel

Macher der Woche vom 31. Januar 2020

Für Prof. Karl Clauss Dietel ist es Zeit, zu ordnen, zu sortieren, zu beschriften. Denn er archiviert seine Sammlung bestehend aus Modellen, Objekten, Entwurfs- und Modellskizzen, Fotos und Unterlagen. Die über 50 Stücke aus dem Zeitraum der frühen 1960er-Jahre bis in die 2000er-Jahre gehen demnächst in den Besitz der Stadt Chemnitz über. Das hat der Stadtrat Ende vergangenen Jahres entschieden. Nicht nur ein nachträgliches Geburtstagsgeschenk für den 85-Jährigen, sondern auch ein Geschenk für die Chemnitzerinnen und Chemnitzer. Denn Karl Clauss Dietel gehört zu den bekanntesten und wichtigsten deutschen Formgestaltern.


Im September 2014 haben Sie vom Bundeswirtschaftsministerium die höchste deutsche Auszeichnung im Bereich Design verliehen bekommen. Fünf Jahre später hat der Stadtrat beschlossen, Ihre Sammlung zu kaufen. Was ist für Sie persönlich bedeutender?
Karl Clauss Dietel:
Diese Auszeichnung hat mich 2014 überrascht. Ich habe damals schon gesagt – das meine ich sehr ernst – ich habe diesen Preis auch für all jene entgegengenommen, die hier im Osten oder in der ehemaligen DDR unter teils sehr schwierigen Bedingungen gestalterisch arbeiteten. Wir hatten oft visionäre Vorstellungen, von denen viele nicht realisiert werden konnten.
Ich lebe seit 58 Jahren in Chemnitz und kenne die Stadt seit über 80 Jahren. Mit meinen Eltern bin ich noch im unzerstörten Chemnitz gewesen und trotz vieler dunkler Jahre und bitterer Stunden weiß ich, mittlerweile als alter Mensch, die Chemnitzer- und Westsächsische Industriekultur ist für Deutschland singulär, sehr bedeutsam. Hier begann vor 220/225 Jahren die deutsche Industrialisierung. Darauf kann man als Chemnitzer stolz sein. Deshalb, so klein das auch ist, hoffe ich mit meiner Sammlung dazu einen bescheidenden Beitrag leisten zu können. Ganz wichtig ist mir, dass ich auch Entwürfe mit übergeben kann, die beispielsweise für Trabant-Nachfolger entstanden sind, die nie gebaut wurden oder drei Generationen LKW, die auch nicht gebaut wurden. Das Realisierte und das Gescheiterte gehören dazu. HELIRADIO-Geräte, TRABANT-Nachfolger und SIMSON-Mokicks ab S50 entwarf ich zusammen mit Lutz Rudolph.

Prof. Karl Clauss Dietel wirkte in vielen Bereichen des Alltags. Seine Produkte standen in fast jedem Haushalt der DDR: von der Lautsprecherbox in Kugelform, der legendären Schreibmaschine „Erika“, über Mokicks der Marke Simson, Entwürfe für Trabants und Wartburgs, bis zu Radios, Türen und Bänke. Seine Arbeiten sind heute in großen Museen wie der Pinakothek der Moderne in München, dem Haus der Geschichte in Bonn und dem Grassi-Museum für Angewandte Kunst in Leipzig zu sehen. So auch bald in Chemnitz. Denn die Kunstsammlungen und das Industriemuseum  haben sich seine Sammlung gesichert. Wert: 64.000 Euro.

Wenn Sie sich etwas wünschen könnten, wie würden Sie Ihre Sammlung präsentieren? Als Ausstellung vielleicht?
Natürlich hoffe ich, wie jeder, der etwas übergibt, dass davon etwas vorgestellt werden kann. Das wäre schon mein Wunsch. Ständig werde ich gefragt, wo denn meine Dinge dann zu sehen sind.

Geboren in Reinholdshain, das inzwischen zu Glauchau gehört, lernte der heute 85-Jährige dort Maschinenbauschlosser, studierte an der Ingenieurschule für Kraftfahrzeugbau Zwickau und an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee. Bis 1963 arbeitete er als Gestalter für den Fahrzeugbau Karl-Marx-Stadt, seitdem ist er freischaffend. Er lehrte an der Hochschule für industrielle Formgestaltung Burg Giebichenstein und an der Fachschule für Angewandte Kunst in Schneeberg, deren Direktor er von 1986 bis 1990 war.

Wann haben Sie sich entschieden, Formgestalter zu werden?
Ich wurde nach dem Krieg als Unternehmersohn einsortiert und durfte nicht aufs Gymnasium. Deshalb habe ich erstmal einen Beruf gelernt, das war kein Fehler. Wäre ich auf ein Gymnasium gegangen, hätte ich sicher Architekt werden wollen. An der Ingenieurschule in Zwickau wurde zu meiner Zeit der Bereich Karosseriebauingenieur eingeführt. Da habe ich mich sofort eingeschrieben. Diese Ingenieure wurden für die Schnittstelle von Produkt- und Formgestaltung eingesetzt. Das hat mich sofort interessiert und so habe ich dann für weitere fünf Jahre Formgestaltung in Berlin studiert.

Bereuen Sie im Nachgang, nie Architekt geworden zu sein?
Nein. Ich habe ja Architektur mit gelernt und bei Bauhäuslern studiert. Ein Studium bei Bauhäuslern war immer interdisziplinär. Ich habe deshalb später visuelle Kommunikation gestaltet, Signets und Plakate. Nach der politischen Wende habe ich viel Umweltgestaltung gemacht, d.h. unter anderem Farb- und Grafikkonzepte, Gestaltung von Sozialeinrichtungen für Porsche Stuttgart, VW-Hallen in Bratislava, Mosel, Hannover.  Heute bin ich noch für Betriebe im Erzgebirge tätig, habe für die Bethanien-Kliniken gestaltet. Es gibt für mich keine disziplinäre Einengung. Alles was visuell-ästhetisch wichtig ist, ist ein Thema für mich. Ich befasse mich auch kritisch mit der Stadtentwicklung, bin deshalb aktiv in der Gruppe „Stadtforum“. Wir beraten die Stadtentwickler und bringen uns ein. Ich interessiere mich genauso für Musik und Literatur, Theater und selbstverständlich für freie Kunst.

Apropos Kunst: Sie haben das erste Bild des Künstlers Michael Morgner gekauft?
Ja. Als freischaffender Künstler hat man nicht regelmäßig Geld verdient. Aber Michael Morgner fand ich von Anfang an gut, genauso wie den Maler Peter Graf. Mit ihm habe ich zusammen in Berlin studiert. Auch mit Georg Kern, der sich dann Baselitz nannte.

Haben Sie ein Lieblingsstück in Ihrer Sammlung?
Das werde ich immer wieder gefragt. Mittlerweile sagen Historiker unser HELIRADIO rk5 mit den zwei Kugeln sei ein Klassiker. Von den Simson-Fahrzeugen, das hat eine der größten europäischen Zeitungen vor fünf Jahren geschrieben, fahren heute in ganz Deutschland mehr Mokicks als zu Wendezeiten. Ein Grund dafür: mein „Offenes Prinzip“. Einzelne Bauteile sind sichtbar, können repariert oder ausgetauscht werden, ohne das gesamte Produkt wegwerfen zu müssen. Ein weiterer Grund: Vieles wird immer noch gesammelt. Die Simson-Zweiräder, aber auch Radios und Schreibmaschinen. Letztere braucht heute funktionell eigentlich kaum einer mehr.

Die Nachhaltigkeit des „Offenen Prinzips“ ist angesichts der heutigen Wegwerfprodukte wichtiger denn je.
Das ist nicht erst heute so. Ich war einer der Ersten, der das aus Amerika kommende Prinzip „Styling“ vor 60 Jahren mit meiner Diplomarbeit kritisiert hat. Danach kam von einem amerikanischen Wissenschaftler das Buch „Planned Obsolescence“ heraus. Geplantes Altern, um die Dinge wegwerfen zu können und größeren Profit zu erzielen. Dafür wird Visuell- Ästhetisches im negativen Sinne eingesetzt, um Dinge künstlich modisch altern zu lassen. Das war für mich immer ein rotes Tuch. Deshalb habe ich dann „Gebrauchspatina“ vor 50 Jahren erfunden. Dass beispielsweise 80 oder 120 Jahre alte Stühle durchs Gebrauchen nicht schlechter werden, sondern z.B. wie ein paar Jeans, geadelt werden.
Neben dem „Offenen Prinzip“ gibt es noch „Die großen fünf L“. Produkte sollten lebensfreundlich, leicht, lütt, langlebig und leise sein. Schauen Sie sich einmal unsere Welt an: Die Autos werden immer größer, immer schwerer, nicht veränderbar. Das ist Technokratie. Wir leben in einer hoch kapitalistischen Welt. Manche sagen, es ist die Spätphase des Kapitalismus. Es ist nicht meine Welt, für die ich hätte arbeiten wollen. Aber ich muss mich in dieser Welt bewegen und habe immer versucht, Dinge zu machen, die eine Alternative in den Grenzen des Machbaren darstellen.

Sie nehmen bis heute noch Gestaltungsaufträge an?
Ja, beispielsweise für den weggerissenen Kugelbrunnen. Aus verbliebenen Restkugeln möchte ich ein Lichtobjekt gestalten.

Der Kugelbrunnen wurde von Prof. Karl Clauss Dietel und Reinhard Grütz 1974 geschaffen. 30 Kugeln standen auf Edelstahlsäulen in einem Brunnen im Yorckgebiet.

Hat Sie Chemnitz bei Ihrer Arbeit immer inspiriert?
Ich habe dunkle, bittere Jahre hier in Chemnitz verlebt. Ich bin das Risiko eingegangen, einer der ersten Freischaffenden zu sein. Mein so genanntes erstes Atelier auf der Uhlandstraße war sehr klein. Sehr spät konnte ich dann das Haus meiner Großtante kaufen. Das andere war: Nach einer sehr guten Phase in den 60er Jahren veränderten sich die Strukturen, bis hin zu den Parteistrukturen. Diese dann paramilitärischen Wirtschaftsstrukturen versuchten, alle Freischaffenden zu eliminieren. Da gab es Widerstand aus dem Künstlerverband. Dort wurde ich zum schärfsten Gegner und bin dann aus Protest 1981 als einer der Vizepräsidenten des Verbandes zurückgetreten. Rücktritte in einer demokratisch verfassten Gesellschaft sind selbstverständlich, aber in der DDR gab es das nicht. Deshalb steigerte sich 1981 dann die übliche Observierung durch die Staatssicherheit auf das Schärfste. Wegen meines Rücktritts und wegen meiner Bindung zu den Kollegen der Künstlergruppe Clara Mosch. Wenn ich gute Freunde zu Besuch hatte und wir etwas Wichtiges besprechen wollten, sind wir in den Zeisigwald gegangen. Zwischen Widerstand und Anpassung verlief  mein Leben in der DDR.

Spielte man da mit dem Gedanken wegzugehen?
Die Frage kommt immer wieder. Ich sage allen auf diese Frage: Wenn alle weggegangen wären, hätte es die von innen kommende Wende nicht gegeben. Diejenigen, die weggegangen sind, waren nicht in der Lage von draußen Prozesse in der DDR auszulösen. Aber in ihr haben Hunderttausende an diesem Prozess mitgewirkt, den Wandel entstehen zu lassen. Dabei ging es zuerst gar nicht um die Deutsche Einheit, sondern es ging um Überwindung der existenten DDR, so wie sie war. Es ging um Emanzipation und um etwas Eigenständiges.

Prof. Karl Clauss Dietel prägte das ostdeutsche Design über Jahrzehnte maßgeblich mit. Seine Werke schmücken auch Chemnitz: SchmidtBank Passage, Industriemuseum, Bethanien-Krankenhaus, Stadtbad − um nur einige zu nennen. Sogar Bäume hat er im Yorckgebiet gepflanzt. „Das war illegal“, lacht Dietel. „Anfang der 70er Jahre gab es einen Plan für Grüngestaltung des Areals „ehemalige Wendeschleife“. Als es fertiggestellt war, blieb alles liegen. Das hat mir nicht gefallen. Da habe ich Bäume aus dem Garten meiner Tante ausgegraben und eingepflanzt. Heute stehen sie groß gewachsen dort.“

Ihre Werke stehen in München, Hannover, Dresden, Leipzig. Fühlen Sie sich als Botschafter der Stadt?
Ein bisschen. Beispielsweise gab es nach einem Vortrag kürzlich in der Schweiz eine lange Diskussion zum Thema Autos. Fazit danach: Wir müssen mal nach Chemnitz. Im Februar vergangenes Jahr haben sie mir in Prag das „Goldene Lenkrad“ verliehen. Vor drei Jahren lud man mich nach Bratislava zu einer Ausstellung. An diesen Dingen sieht man, das Interesse von außen nimmt zu.

Ihre Expertise wird in der Stadt hoch geschätzt. Sie haben als Jurymitglied die Entscheidung zum Marktbrunnen mitgetroffen. Wie finden Sie im Nachgang das Ergebnis?
Wir haben aus dem relativ großen Angebot etwas sehr Interessantes ausgewählt: nichts Tradiertes, ganz eigenwillig. Es war auch völlig richtig, dass aus der nationalen eine europäische Ausschreibung wurde.

Von Ihnen kommt das Zitat: „Wer sich geistig nicht bewegt, wer nicht offen ist für das was war, ist und kommt, der gibt sich auf und das sollte man nicht tun“. Haben Sie noch Ziele?
Ich kann nur hoffen, in meinem Alter noch einigermaßen gesund zu bleiben. Denn einiges habe ich noch vor. Beispielsweise die Sammlung. Das macht Arbeit. Die Exponate und Modelle wurden von Gutachtern angeschaut. Jetzt muss ich noch die zeichnerischen Unterlagen sortieren. Außerdem soll ich mich an Ausstellungen beteiligen, an Deutsch-Deutschen Projekten, die international wandern. Ständig kommen Anfragen, ich bin viel unterwegs. Manchmal tut es mir leid, dass ich nicht sofort antworten kann.

Wir wollen 2025 Kulturhauptstadt Europas werden, wie sehen Sie unsere Chancen?
Die Chancen kann ich, fernab von den Entscheidungsgremien nicht beurteilen. Aber die Absicht, sich zu bewerben, find ich sehr gut. Die Bewerbung hat schon viel ausgelöst. Gerade im Hinblick auf das Chemnitzer Selbstbewusstsein ist das hervorragend. Das kann nur gut sein.

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