Ein Einsatz, der sich lohnt

Ingrid Poike

Macherin der Woche vom 25. Februar 2022

Ein ruhiges Rentnerdasein? Damit kann Ingrid Poike nichts anfangen. Sie will helfen. Und das nicht um die Ecke, sondern im fast 8000 Kilometer entfernten Namibia. Seit 2009 unterstützt die 76-Jährige dort Einheimische, sammelt vor allem Geld, um Kindern den Schulbesuch zu ermöglichen. Was sie antreibt, erzählt sie im Macherin der Woche-Interview.


An diesem Wochenende fliegen Sie wieder nach Namibia, das erste Mal nach zwei Jahren Corona-Zwangspause. Sind Sie aufgeregt?
Ingrid Poike:
Ja, und voller Vorfreude. Fast zu spät habe ich gemerkt, dass meine internationale Fahrerlaubnis nicht mehr gültig ist. Aber das ist geklärt. Dann wurde unser Flug noch um einen Tag verschoben. Ich bin sehr gespannt, was uns in Namibia erwartet. Zwar habe ich viel Kontakt über Telefon und WhatsApp halten können, aber zwei Jahre sind eine sehr lange Zeit.

Ihre wievielte Reise ist das jetzt?
Die 22. Üblicherweise bin ich zweimal im Jahr für vier bis sechs Wochen in der Kavango-Region im Nordosten von Namibia. Dieses Mal sind wir nur drei Wochen dort, da mich mit meiner Tochter, ihrem Sohn und einer Bekannten drei Werktätige begleiten.

Wie sind Sie zu diesem Engagement gekommen?
Es ist zu mir gekommen. Wissen Sie, ich habe meinen Mann relativ zeitig verloren. Für mich musste es weitergehen. Also bin ich gereist. 2008 in Namibia wohnte ich in einer Lodge. Die Wirtsleute hatten kurz zuvor die Mayana Mpora Stiftung ins Leben gerufen. Da habe ich gesehen, dass ich helfen kann und dass die Hilfe direkt ankommt. Ich hatte bereits ein Patenkind, aber da hat mir die Nähe gefehlt.

Wie sieht Ihr Alltag der Zeit aus, wenn Sie dort sind?
Ich besuche in erster Linie die vier Schulen, die Kinder dort. Bringe ein bisschen Material aus Deutschland mit, Stifte zum Beispiel. Wir statten jeden Schüler der 8. Klasse mit einem Englisch-Wörterbuch aus. Die kaufe ich von den Spenden direkt in Rundu und bringe sie dann ins Dorf. All das mache ich mit den Verantwortlichen der Stiftung vor Ort, Desiré und Piet Jacobs. Desiré ist eine Tochter der inzwischen leider verstorbenen Wirtsleute, sie führt mit ihrem Mann die Stiftung weiter. Piet kümmert sich dort um alles und erhält einmal im Quartal das gespendete Geld, wovon er dann wichtige Dinge anschafft. An erster Stelle stehen Finanzierung der Vorschule und Vergabe von Schulkleidung, da die meisten Schulen den Kindern den Zutritt ohne diese verwehren.
Manchmal gehen wir durchs Dorf und Piet sagt: „Da, das Rind stammt von mir oder diese Ziege.“ Bei ihm können die Menschen auch ihr Getreide mahlen, das machen sie sonst mit einem großen Holz-Mörser. Es klappt gut mit ihm. Es ist wichtig, dass ich dort jemanden habe, dem ich vertraue.

Sind Sie auch schon enttäuscht worden?
Ja, auf verschiedene Art und Weise. Man darf nicht vergessen, wie arm die Menschen dort sind. Sie kämpfen ums Überleben. Es geht jeden Tag nur darum, etwas zu essen zu bekommen. Das Wort Frühstück zum Beispiel gibt es in ihrer Sprache gar nicht.

Wie leben die Menschen dort, können Sie uns das beschreiben?
Das Dorf Mayana ist durch eine Straße geteilt. Auf der einen Seite gibt es teils Wellblech-Hütten mit Zugang zu Trinkwasser. Auf der anderen Seite leben die Menschen in Lehmhütten mit einem Dach aus Riedgras. Ohne Wasser, ohne Strom. Zum Waschen müssen sie an den Fluss. Es gibt Tage, an denen es für die Familie nichts zu essen gibt. Das ist für uns undenkbar. Aus diesen Familien stammen die Kinder, denen wir den Besuch der Vorschule und später der Schule finanzieren.

Die Vorschule wurde ja nach Ihnen benannt, richtig?
Ja, das stimmt. Aber das hat mich beschämt. Es gibt dort auch ein Mädchen, das Ingrid heißt. Damit kann ich schon eher leben (lacht).

Dann ist Ihnen mit dem Bundesverdienstkreuz, mit dem Sie voriges Jahr ausgezeichnet wurden, wohl auch nicht so wohl?
Ich habe mich schon sehr gefreut. Ehrlich gesagt ist mir das aber fast ein bisschen peinlich, weil ich nicht gerne im Vordergrund stehe. Ich mach‘ das einfach, aber ich muss nicht darüber reden.

Was treibt Sie an?
Keiner weiß, wo er auf die Welt kommt. Die Kinder können nichts dafür, dass sie dort in so große Armut hinein geboren wurden. Doch ich finde, jeder sollte die Chance haben, sich entwickeln zu können. Also muss man an der Bildung etwas tun.

Ist das quasi die Bekämpfung von Fluchtursachen?
Nein, daran habe ich nie gedacht. Es geht um Chancengleichheit. In all den Jahren ist mir keiner begegnet, der gesagt hätte, dass er fliehen will oder nach Deutschland will. Die Menschen wünschen sich, dass es ihnen und ihrer Familie bessergeht. Sie wollen ihr Leben selbst in die Hand nehmen. Ich könnte auf Anhieb mindestens zehn Frauen und Männer aufzählen, die nach ihrem erfolgreichen Studium einen guten Beruf ergreifen konnten.

Wer sind Ihre Spender?
Ich habe viele Kleinspender, aber auch Organisationen wie die Rotarier. Am Jahresende schicke ich mehr als 100 Briefe an die Sponsoren. Sie leben in ganz Deutschland und darüber hinaus. So erfahren sie, wie ihre Hilfe vor Ort ankommt. Manche haben direkt ein Kind, das sie unterstützen. Diese Spender versuche ich immer auf dem Laufenden zu halten, das ist aber mit sehr viel Aufwand verbunden und gelingt nicht immer.

Wie vielen Menschen konnten Sie schon helfen?
Schwer zu sagen. Die Vorschule nimmt jedes Jahr 40 Mädchen und Jungen auf, dazu kommt die normale Schule mit etwa 100 Schülern. Wir unterstützen auch noch ein paar wenige Studenten, die es durch diesen Weg geschafft haben. Eine junge Frau studiert inzwischen Bergbau, ein junger Mann Pädagogik. Danach ist aber Schluss, sie sollen ja nur auf eigene Füße kommen. Neben der Schulkleidung und Material wie Buntstifte und Geometrie-Sets finanziert die Stiftung Hilfslehrer sowie den selbstgebauten Schulbus für die Vorschule. Für die älteren Schülerinnen konnten wir im vorigen Jahr außerdem 115 Paar waschbare Vorlagen (Reusable Pads) kaufen.

Warum ist das so wichtig?
Wenn die Mädchen ihre Periode haben, können sie oft nicht in die Schule gehen. Sie verbringen die meiste Zeit am Fluss um sich sauber zu halten. Das ist gefährlich, denn im Fluss leben Krokodile, die das Blut ja anzieht. Ich kenne ein Mädchen, deren Cousine dabei ums Leben gekommen ist.

Hand aufs Herz: Sie sind dort mitunter allein unterwegs. Haben Sie da keine Angst?
Das ist schon problematisch. Man darf keine Angst haben. Ich versuche immer, das zu verdrängen. Aber ich habe zum Beispiel einen Kampf erlebt, als meinem Begleiter das Handy geklaut wurde. Die haben auch mich so böse angeschaut, da habe ich schon gebangt. Ich war auch dabei, als am Flussufer ein Kopf gefunden wurde. Ich kannte die Familie dieses Mannes.

Und Sie sind keine 35 mehr.
Ja, ich gebe zu, es wird zunehmend anstrengender. Meine Kinder waren erschrocken, dass ich wieder fliege. Sie hatten wohl gehofft, nach den zwei Jahren lasse ich es sein. Aber solange ich gesund bin, gibt es keinen Grund, nicht zu fahren. Außerdem begleitet mich ja meine Tochter, sie unterstützt mich. Doch das geht nicht immer. So eine Reise kostet pro Person etwa 2000 Euro, das finanzieren wir aus eigener Tasche.

Können Sie uns von einer Person berichten, die Ihnen in den vielen Jahren im Gedächtnis geblieben ist?
Oh, ja, das kann ich und da könnte ich gleich wieder heulen. Ein Mädchen, Naimi heißt sie, ging auf unsere Schule. Eines Tages im März war sie verschwunden und wir erfuhren, dass ihr Vater sie geholt hatte, der in Angola lebte. Ihre Familie bemühte sich, der Vater wurde angezeigt und im Mai war sie wieder da. Ohne Schulranzen, sie hatte nichts mehr. Im Juni war sie wieder weg und ihre Mutter, die auf einer Farm arbeitete, machte sich wieder auf den Weg. Es stellte sich heraus, dass der Vater Aids hatte und dass sich dieses siebenjährige Mädchen um ihn kümmern musste. Sie musste kochen, waschen, Essen heranschaffen. Ohne Geld. Bis zu seinem Tod. Danach wurde das Mädchen der Schwester des Verstorbenen als Erbe versprochen. Wir gaben der Mutter Geld für die Busfahrt und kümmerten uns, dass sie einen Personalausweis bekommt, um sich im Nachbarland bewegen zu können. Immer wieder wurde die Mutter weggeschickt, die Tante wollte wohl an die Waisenrente. Solche Kinder gehen nicht zur Schule, sie werden Hausfrau oder Prostituierte. Im November haben wir gesagt: Noch ein letzter Versuch, es lohnt sich, um dieses Kind zu kämpfen! Am vierten Advent, ich war schon wieder zuhause, erhielt ich am Kaffeetisch die Nachricht: Naimi ist zurück. Mir liefen die Tränen.

Zum Abschluss noch einmal zurück nach Chemnitz: Was wünschen Sie sich für die Kulturhauptstadt 2025?
Ich bin stolz auf Chemnitz und überglücklich, dass wir uns auf diese Weise nach außen öffnen können. Chemnitz wird gegenüber Leipzig und Dresden immer so stiefmütterlich behandelt, das tut mir immer weh. Bei all den negativen Schlagzeilen, die wir Chemnitzer über unsere Stadt ertragen mussten, wird es Zeit, dass wir Besucher willkommen heißen und zeigen können, was wir draufhaben.

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