Er gibt jungen Leuten eine Stimme

Oliver Sachsze

Macher der Woche vom 22. April 2022

An der Josephinenschule nahm alles seinen Anfang. Dort wurde Oliver Sachsze vor knapp zehn Jahren erstmals Klassensprecher. Heute kann der 21-Jährige auf eine beachtliche Laufbahn in der Schülervertretung zurückblicken, die ihn bis auf Bundesebene gehievt hat. Seit dreieinhalb Jahren leitet er zum Beispiel den Stadtschülerrat Chemnitz. Was ihn dazu bewegt, sich seit so vielen Jahren einzubringen, und was in der Bildungslandschaft dringend geändert werden muss, erläutert Oliver Sachsze im Macher-der-Woche-Interview.


Herr Sachsze, Sie sind seit November 2021 Mitglied in der Bundesschülerkonferenz und dort Fachkoordinator für Finanzen. In der Politik würde man sagen: Karriere gemacht. Sehen Sie das auch so?
Oliver Sachsze:
Ach, nein. Vieles hat sich ergeben. In der fünften Klasse ging das los mit den Schülervertretungen. Ich fand das cool und wollte unbedingt mitmachen. Erst war ich stellvertretender Klassensprecher, ab der sechsten Klasse dann Klassensprecher. Ab der siebten Klasse bin ich in den Stadtschülerrat gekommen. Über den Vorstand im Stadtschülerrat landet man irgendwann als Delegierter auf der Landesebene, und durch einen Rücktritt bin ich den Vorstand vom Landeschülerrat aufgerückt. Seit November 2019 war ich stellvertretender Vorsitzender im Landesschülerrat Sachsen. Nun bin ich aber nur noch als Berater im Landesvorstand, weil ich im Sommer meine Lehre beende und dann ja kein Schüler mehr bin.

Das klingt insgesamt sehr nach viel Bürokratie und langweiligen Sitzungen. Ist das korrekt?
Im Landesschülerrat sind wir Ansprechpartner für das Kultusministerium und andere politische Akteure. In der Bundesschülerkonferenz agieren wir auf Ebene der Kultusministerkonferenz. Klar ist es blöd, wenn man Freunden am Wochenende absagen muss, weil man zur Plenartagung nach Saarbrücken fahren muss. Aber so knüpft man Kontakte und kann etwas bewegen.

Ist Ihre Schullaufbahn genauso reibungslos verlaufen?
Nee, gar nicht. Ich war erst auf der Josephinenoberschule. Danach habe ich das Abitur probiert, nach anderthalb Jahren aber aufgegeben. Ich wollte lieber was schaffen, hatte das Ziel, Tanzlehrer zu werden. Das hat aber nicht funktioniert und so bin ich 2019 in einer sogenannten berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme vom Arbeitsamt gelandet. Das war ein dunkles Zeitalter. 6.30 Uhr ging es los und wir mussten die ganze Zeit Bewerbungen schreiben. Ich habe mir geschworen, das machst du nie wieder. Über ein Praktikum bin ich dann bei einem Unternehmen gelandet und habe die Ausbildung zum Kaufmann im Groß- und Außenhandel angefangen.

Welche Aufgabe haben Sie in der Bundesschülerkonferenz?
Ich kümmere mich zum Beispiel um Fördermittelanträge. Neben drei Fachkoordinatoren gibt es eine Generalsekretärin. Leider gehören zur Bundesschülerkonferenz, die 2004 gegründet wurde, nur 13 Bundesländer, da die Mitgliedschaft in keinem Gesetz festgeschrieben ist. Trotzdem ist unser Ziel, eine Austauschplattform für Schüler:innen in ganz Deutschland zu sein.

Warum ist eine starke Schülervertretung so wichtig?
Weil wir den Schulalltag anders erleben als Lehrer oder Eltern. Zum Beispiel hat die Pandemie gezeigt, dass die Digitalisierung absolut verschlafen wurde. Wir sind aber eine Generation, die unheimlich technikaffin ist. Digitalisierung ist nicht damit getan, wenn wir den Polylux an der Schule durch einen Beamer ersetzen und die Folien darüber an die Wand werfen. Wir brauchen Workshops für die Lehrerinnen und Lehrer. Und muss ich nach dem Ende des Schuljahres drei Aktenordner mit Arbeitsblättern nach Hause schleppen oder gibt es nicht auch eine digitale Lösung? Später im Beruf wird nämlich genau das von uns erwartet. Deshalb sagen wir: Lehrerinnen und Lehrer brauchen Medienkompetenz.

Können Ideen der Schülerinnen und Schüler immer umgesetzt werden?
Nein, das nicht. Klar haben wir auch verrückte Ideen: das Computerkabinett mit Apple-Geräten auszustatten zum Beispiel. Aber es geht darum, uns zuzuhören, zu gucken, welche Mittel zur Verfügung stehen und gemeinsam eine Lösung zu finden.

Wo liegen in den Schulen die größten Probleme?
Neben der Digitalisierung ist das definitiv der Lehrermangel. An einigen Gymnasien können bestimmte Leistungskurse nicht mehr angeboten werden. Auch A- und B-Wochen zu bilden, funktioniert nicht auf Dauer. Der Landesschülerrat setzt sich außerdem dafür ein, dass das Bildungsticket über die Grenzen der Verbundräume hinweg gültig bleibt. Schülerinnen und Schüler im Raum Bautzen zum Beispiel haben das Problem, dass sie ein zweites Ticket brauchen, um über die Grenze des Verbundraumes zu kommen. Unser Ziel ist, dass man durch ganz Sachsen mit dem Bildungsticket fahren kann. Das fördert auch die Selbstständigkeit.

Was möchten Sie außerdem ändern?
Wenn ich könnte, würde ich die Kopfnoten abschaffen. Eine schriftliche Bewertung sagt viel mehr über eine Persönlichkeit aus als eine Zahl. Und Bildung muss praxisbezogener werden. Was nützt es mir, wenn ich in der Realschulprüfung als Ergebnis einer Aufgabe 3,419 Stück Schokolade herausbekomme? Wo lernen wir, wie man eine Steuererklärung macht, wie man sein erstes Geld anlegt oder ein Bild im Internet wirklich löscht? Es reicht nicht, zu wissen, wie man im Word die Schriftgröße verstellt.

Bildungspolitik ist Ländersache. Was halten Sie davon?
Es gibt sicher einige Vorteile, aber wir erleben vor allem Nachteile. Dass man zum Beispiel beim Wechsel von Bundesland A zu Bundesland B ein Jahr wiederholen muss, ist Schwachsinn. Sicher, der Föderalismus belebt den Wettbewerb unter den Bundesländern. Aber angesichts von 16 Kultusministerien könnte man viel Verwaltung sparen.

Wie viel Zeit kosten Sie all die Ehrenämter?
Schwer zu sagen. Es gibt schon Wochen, wenn ich die Kongresse vorbereite, da komme ich 17 Uhr von der Arbeit und sitze bis 22 Uhr. Es gab Zeiten im Landesschülerrat, da war ich jedes Wochenende unterwegs. Einmal haben meine Eltern über die Kontaktadresse des Landesschülerrats mit mir einen Termin gemacht, um mir zu sagen, dass ich ganz schön viel arbeite. Es war ein Vollzeit-Nebenjob. Aber ich bringe eben so viel ein, wie ich kann. Und ich schöpfe viel Energie daraus, sodass mich die drei, vier Stunden extra am Tag nicht stören.

Bleibt da noch Zeit für Hobbys?
Klar, ich gehe nebenbei noch tanzen. Und am Wochenende wahnsinnig gerne feiern. Ich klettere auch gerne oder gehe wandern.

Sie sitzen auch als sachkundiger Einwohner im Jugendhilfeausschuss in Chemnitz. Warum das?
Der Stadtschülerrat entsendet immer jemanden in den Schul- und Sportausschuss. Zwei Jahre lang hatte ich das auch gemacht. Der Jugendhilfeausschuss beschäftigt sich ebenfalls mit Jugendthemen. Es ist unsere Aufgabe, die jugendliche Brille dort hineinzubekommen. Ich finde, es muss nicht immer so kompliziert gemacht werden. Wir jungen Leute haben manchmal gute Ideen, wie es viel einfacher geht.

Im Sommer beenden Sie Ihre Lehre, zur nächsten Wahl im November können Sie nicht mehr antreten. Werden Sie das vermissen?
Ein bisschen schon. Ich habe in den neuneinhalb Jahren echt viel gelernt. Früher waren Vorträge ein Horror für mich, ich war sehr zurückhaltend. Als Klassen- oder Schülersprecher konnte ich viel ausprobieren und habe jetzt das Selbstbewusstsein das, was ich denke, auszusprechen.

Was konnten Sie in der Zeit umsetzen, worauf Sie stolz sind?
Als Stadtschülerrat haben wir das Planspiel Stadtrat initiiert, das super angekommen ist. Das soll es nach der Corona-Pause auch wieder geben. Das war ne coole Veranstaltung, weil da Stadträt:innen wirklich mitgezogen haben. Außerdem sind wir dran, dass es als kleine Fete vor den Ferien wieder das Picknick geben wird. Auch der sächsische Schülerkongress »Vision Schule« war gut. Der fand zuletzt 2020/21 mit 70 Leuten statt. Da war so ein Wir-Gefühl, eine Energie im Raum. Das hat unheimlich viel Spaß gemacht.

Lernen Schülerinnen und Schüler über eine solche ehrenamtliche Arbeit, wie Demokratie funktioniert?
Absolut. Wir lernen zwar in Gemeinschaftskunde, wie Stadtrat, Landtag und Bundestag funktionieren. Aber die Umsetzung erlebt man, wenn eine Klasse ihren Klassensprecherin oder ihren Klassensprecher wählt. Das ist jemand, der für meine Interessen als Schüler:in einsteht. Dann muss die Klassensprecherin oder der Klassensprecher Mehrheiten finden und Netzwerke bilden, um mit der Idee voran zu kommen.

Was wünschen Sie sich, wenn Chemnitz 2025 Kulturhauptstadt ist?
Dass die Jugend ein Mitspracherecht hat, was in der Stadt passiert. Wenn die junge Bevölkerung gehört wird, ist das auch ein Anreiz für sie, in der Stadt zu bleiben oder nach einigen Jahren woanders zumindest wieder zurückzukommen.

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