Versteckt im Beton-Kokon
Dr. Thomas Schuler
Macher der Woche vom 1. September 2023
Im Februar 2022 hat das Landesamt für Archäologie Sachsen auf der Fläche zwischen Augustusburger Straße und Theresenstraße ein jüdisches Tauchbad zur Reinigung gefunden – eine sogenannte Mikwe.
Kurz darauf hat sich die AG Mikwe gegründet: ein Zusammenschluss von engagierten Bürgerinnen und Bürgern sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Ihr Ziel ist, die Mikwe nicht nur zu erhalten und zu erforschen, sondern sie auch der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Zum Tag des Offenen Denkmals am 10. September wird im Rathaus eine Sonderausstellung zur Chemnitzer Mikwe eröffnet. Im Macher der Woche-Interview erklärt Dr. Thomas Schuler von der AG Mikwe, wieso der Chemnitzer Fund so bedeutend ist und was Gäste der Ausstellung erwartet.
Was ist das Besondere am Chemnitzer Fund?
Dr. Thomas Schuler: Vor über einem Jahr wurde im Kellergeschoss ein Brunnen gefunden – noch halb im Grundwasser – und wir haben festgestellt, dass es sich um eine jüdische Mikwe handelt. Ein Reinigungsbad. Es ist auffällig, dass der Fund aus einer Zeit stammt, in der es offiziell keine Juden in Chemnitz gab. Der Brunnen ist zeitlich nicht näher eingegrenzt. Er lässt sich ziemlich sicher zwischen dem 16. bis 18. Jahrhundert datieren. Aber genau in dieser Zeit gab es in Chemnitz keine Juden. Das ist natürlich ein Rätsel und eine Herausforderung für die Historiker, wieso es dann in Chemnitz zu einer solchen Mikwe kam, wenn in Chemnitz und ganz Sachsen Juden-Ansiedlungen in dieser Zeit nicht erlaubt waren. Es ist die erste und einzige Mikwe in Sachsen, die es aus dem Mittelalter und der frühen Neuzeit gibt. Also ist es ein Fund, der nicht nur für Chemnitz, sondern auch für Sachsen eine große Bedeutung hat.
Wie ist der aktuelle Stand der Mikwe?
Das ist ein Problem. Der aktuelle Stand der Mikwe ist, dass sie im Verborgenen ist. Das ist auch einleuchtend, wenn man sieht, welche Baumaßnahmen über ihr gerade stattfinden. Die Mikwe muss geschützt werden. Sie ist ganz sorgsam eingehaust worden und bleibt auch noch einige Jahre so. Wir müssen sie zuerst einmal beobachten, weil die Mikwe aus Backstein und mit einfachem Mörtel gemacht ist. Die Archäologen sind sehr in Sorge, dass es, wenn man die Mikwe zu früh öffentlich präsentiert, ein unkalkulierbares Risiko ist und sie dann innerhalb von einer Generation kaputt geht.
Welche Maßnahmen wurden getroffen, um die Mikwe zu schützen?
Man hat das Gehäuse so gemacht, dass es nach unten offen ist. Das heißt also, das Grundwasser kann weiter eindringen, denn dafür ist sie gedacht. Zunächst ist da einfach ein Verfüllmörtel eingefüllt, den Archäologen immer verwenden, der ganz leicht wieder entfernbar, aber ein Puffer ist. Der Mörtel steift aus und dann kann fast nichts passieren. Um diese Füllung ist ein stabiler Beton-Kokon geschaffen worden, der nach allen Seiten völlig geschlossen ist, nur nicht nach unten. Wir müssen jetzt sehen, wie sich der Grundwasserspiegel beruhigt, verändert oder erhöht. Innen gibt es Messsonden, die genau verfolgen können, was passiert. Für die nächsten fünf bis zehn Jahre wird die Mikwe also unter strikter Beobachtung sein.
Sie haben vor der Verfüllung Proben genommen und angefangen, sie auszuwerten. Wie ist da der aktuelle Stand der Auswertung?
Die Frage kommt gerade ein bisschen zu früh. Der Ausgräber sitzt gerade über der Auswertung in Dresden. Wir wissen es also gerade noch nicht, aber einiges hat sich schon herumgesprochen: Zum Beispiel, dass das Becken der Mikwe mindestens zwei Bauphasen aufweist. Dass es verputzt war, mit einem hellen Verputz, dass es ein Gewölbe darüber gab. Es handelt sich schon um einen aufwendigen Raum, das passt zu einer Keller-Mikwe.
Auf der Webseite der AG Mikwe liest man, dass das Grundwasser aus dem Gablenzbach kam. Aber in der Nähe des Johannisplatzes ist nirgends ein Bach zu sehen.
(lacht) Er ist noch da. Der Gablenzbach verläuft verrohrt direkt vor der Mikwe. Man sieht ihn nur nicht. Er ist um 1880 eingehaust worden, fließt also im Gewölbe. Für die Mikwe ist es entscheidend, dass sie nur wenige Meter von der Gablenz entfernt ist. Dadurch wird sie gut mit Grundwasser versorgt.
Wie ist die AG Mikwe entstanden?
Das geht zurück auf eine Initiative der »Bürgerinitiative Reitbahn-Viertel«. Sie wollten, dass sich nicht nur das Landesamt für Archäologie, sondern auch von Chemnitzer Seite aus jemand um die Mikwe kümmert, und haben eine interdisziplinäre Arbeitsrunde zusammengestellt – also Fachleute aus verschiedenen Fachgebieten. Im Januar haben wir förmlich eine Arbeitsgruppe Mikwe Chemnitz gegründet und begleiten die Mikwe in enger Abstimmung mit dem Landesamt. Hauptsächlich liegt ihr Zustand natürlich beim Landesamt für Archäologie.
Wie geht es jetzt weiter? Sie haben es sich ja zur Aufgabe gemacht, dass Sie die Mikwe irgendwann der Öffentlichkeit präsentieren wollen.
Das ist unsere Herausforderung und warum diese AG Mikwe in Chemnitz wirklich nötig ist. Wir haben verschiedene Projekte. Wir wollen zum Beispiel ein Tastmodell von der Johannisvorstadt mitsamt der Mikwe realisieren. Die Planungen sind schon fortgeschritten. Das Modell soll in den neugebauten Straßen des Viertels oder öffentlich zugänglich in einem Haus stehen. Wenn das Johannisviertel ganz neu entsteht, soll an das alte erinnert werden. Wir wollen den Stand der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zeigen, als es noch Stadtmauern gab und die Gablenz offen war. Das soll schon zur Kulturhauptstadt fertig sein, im März 2025. Wir wollen auch eine Informationsstele mit Hintergrundinformationen und Erläuterungen zum Modell dorthin stellen. Das ist unsere Vorstellung: eine Einheit von digitaler Information und ein Tastmodell für Blinde. Das Landesamt wird eine Ausstellung am Tag des Offenen Denkmals machen. Wir bemühen uns sehr darum, die Mikwe im Bewusstsein der Menschen zu halten.
Was können Besucherinnen und Besucher in der Ausstellung zur Mikwe sehen?
Es wird ein 3D-Modell der Mikwe im Maßstab 1:20 gezeigt werden sowie die Fundsituation und Zeichnungen – also eine breite Dokumentation. Im Mittelpunkt wird das schöne 3D-Modell stehen, das aus Papier gemacht ist und farblich ganz exakt der Mikwe entspricht. Die einzelnen Fundlagen beispielsweise können am Modell abgelesen werden. Es handelt sich nicht um ein Plastikmodell, sondern um ein aufwendiges Modell aus hauchfeinem Papier.