Luisa und der Frieden

Luisa Frieden

Macherin der Woche vom 23. Juni 2023

Die einen wandern nach dem Abitur mit dem Rucksack durch Australien, andere gehen direkt zum Studium oder „chillen“ erst einmal. Luisa Frie­den macht es anders. Sie absolviert einen Freiwilligendienst in Polen und schaut dem Schrecken des Zweiten Weltkriegs ins Gesicht: In der Gedenkstätte des früheren Konzentrations- und Vernichtungslagers Lublin-Majdanek wird die 18-Jährige ein Jahr lang deutschsprachige Tages-und Seminargruppen betreuen sowie eigene Workshops gestalten. Im Macher der Woche-Interview erklärt sie, warum das ihr Beitrag zur Demokratie ist.

 

Sie gehen im September auf eine Mission für den Frieden und heißen auch noch so. Ein Zufall?

Luisa Frieden (lacht): Ja, natürlich. Aber ich bin schon sehr stolz auf meinen Nachnamen und bin auch schon ein paar Mal darauf angesprochen worden, dass es ein schöner Name ist. Das freut mich.

Wieso entscheidet man sich mit 18, für ein Jahr in die Gedenkstätte eines ehe­maligen Konzentrationslagers zu gehen? Das ist nicht gerade leichte Kost.

Ich habe mich schon immer für Geschichte interessiert. Besonders die Zeit des Nationalsozialismus beschäftigt mich, da die damaligen Vorgänge für uns heute so unbegreiflich erscheinen. Der andere Aspekt ist, dass eine Lehrerin uns mal von ihrem Auslandsjahr erzählte und davon, wie sehr sie davon in ihrer persönlichen Entwicklung profitierte. In der Kombination bin ich auf den Verein Aktion Sühnezeichen Friedensdienste (ASF) gestoßen, der Freiwilligendienste in Projekten aus verschiedenen Bereichen, z.B. der Arbeit mit sozialbenachteiligten Menschen oder eben der historischen Bildungsarbeit anbietet. Da dachte ich: Das passt doch. Ursprünglich wollte ich nach Frankreich. Aber beim Auswahlseminar haben sich auch die Länder Polen und Tschechien vorgestellt. Und gerade Polen ist sehr geschichtsträchtig. Die USA oder Israel hätte ich mir nicht zugetraut. Ich wollte in Europa bleiben.

Die 18-Jährige liegt in den letzten Zügen für die Fachhochschulreife, die sie am Beruflichen Schulzentrum für Gesund­heit und Sozialwesen absolviert. Im Anschluss an ihren Freiwilligendienst plant sie, Soziale Arbeit zu studieren. In ihrer Freizeit trainiert sie dreimal in der Woche beim Schwimmclub Chemnitz.
 

Was genau steht Ihnen bevor?

Im September werde ich nach Polen ausreisen, besser gesagt nach Lublin im Osten Polens. Das liegt an der Grenze zur Ukraine. Und dort werde ich ein ganzes Jahr einen Freiwilligendienst im Bereich der historischen Bildungsarbeit leisten. Das bedeutet, dass ich mich in der Gedenkstätte Lublin-Majdanek engagieren werde. Dort war ein ehemaliges Konzentrations- und Vernichtungslager zur Zeit des Zweiten Weltkrieges. Die erste Zeit werde ich mich einlesen. Dann erstellt jeder Freiwillige ein Konzept für Führungen und ab Frühjahr werde ich Besuchergruppen durch die Gedenkstätte führen.

Wie wohnen Sie, wovon leben Sie?

Wir sind durch ASF super vorbereitet und werden vor Ort begleitet. Wir werden zum Beispiel darauf vorbereitet, auf emotionale Kommentare von Besucherinnen oder Besuchern ange­messen zu reagieren. Es gab mehrere Vorbereitungstreffen, bei denen ich die anderen Freiwilligen kennengelernt habe. In Lublin beginnen im September 16 Freiwillige. Sie kommen aus Deutschland und aus der Ukraine. Wir wohnen in einem Studentenwohnheim. Wir bekommen einen Grundbetrag von 900 Euro und das Busticket. Um die Idee noch bekannter zu machen, sind wir aufgerufen, Paten zu finden, die uns monatlich unterstützen und die wir mit regelmäßigen Berichten versorgen. Ich bin auch noch dabei, frage Leute in mei­nem Umfeld und Unternehmen ab.

Die Aktion Sühnezeichen Friedensdienste ist ein gemeinnütziger Verein mit aktuell 1300 Mitgliedern, der 1958 von evangelischen Christen gegründet wurde. Vor dem Hintergrund der Schuld für die nationalsozialistischen Verbrechen sind die Aussöhnung und das friedliche Miteinander Ziele des Vereins. Auf der Internetseite www.asf-ev.de kann man sich als Pate für Personen anmelden.

Was wissen Sie über den Ort?

Majdanek ist eher unbekannt in Polen, aber auch in Deutschland. Dass Auschwitz bekannter ist, liegt wohl daran, dass in Majdanek nicht mehr so viel erhalten ist. Vermutlich wählte man Lublin, weil die Stadt zu dieser Zeit eine große jüdische Gemeinde besaß und relativ zentral in Europa liegt. An diesem Ort haben die Nationalsozialisten Juden, Kommunisten und politische Gegner generell aus ganz Europa zu Schwerstarbeit gezwungen und vernichtet.

Waren Sie zuvor schon mal dort?

Vor zwei Wochen mit meinen Eltern. Dort habe ich auch die Freiwillige getroffen, die ich ablöse. Ich bin froh darüber, es war sehr eindrücklich. Ich freue mich auf das Jahr, hab aber Respekt. Der Besuch jetzt hat mich erleichtert und bestärkt. Ich bin sicher, das wird eine wertvolle Zeit, mit der ich etwas bewirken kann.

Inwiefern?

Rechte Parteien erleben in Europa im­mer mehr Zuspruch, ob in Polen, Italien, Frankreich oder auch bei uns. Mich beschäftigt das sehr, weil ich Angst habe, dass es revanchistische Tendenzen und eine Geschichtsvergessenheit mit sich bringt, dass die Geschichte vernachlässigt wird. Es gab ja auch viele Schlagzeilen von Holocaustvergleichen. Mir zeigt das, dass das Thema ein bisschen in die Vergessenheit gerät. Das sehe ich als großes Problem und als eine Bedrohung für unsere Demokratie in Europa und weltweit. Und für den internationalen Frieden. Deswegen ist das mein Beitrag, die Erinnerungskultur und den Frieden und die Demokratie in Europa zu unterstützen.

Das sagen Sie so selbstverständlich. Dann gibt es Schlagzeilen von Neuntklässlern, die in Auschwitz den Hitler-Gruß zeigen. Wie erklären Sie sich das?

Das zu sehen war wirklich hart. Für junge Menschen ist es schon so lange her und in vielen Familien wird nicht mehr viel darüber gesprochen. Das ist nicht das beliebteste Thema am Abendbrottisch. Das ist natürlich keine Entschuldigung. Ich habe die Vermutung, dass solche Aktionen eine Art Provokation sind. Sie tun etwas Verbotenes. Es zeugt davon, dass sich noch nicht ausreichend mit dem Thema auseinandergesetzt wurde.

Was würden Sie dagegen unternehmen?

Mehr Unterricht. Wir machen in Geschichte ab der Steinzeit alles durch, das sind viele Themen. Bei einer Stunde Geschichte pro Woche in zehn bis zwölf Jahren bleibt für vieles zu wenig Zeit. Ich finde es wichtig, dass Schulen Fahrten in Gedenkstätten organisieren. Meine leider nicht. Doch das ist ein wichtiger Bestandteil der schulischen Bildung. Wenn das nicht möglich ist, kann man auch mal den Park der Opfer des Faschismus besuchen. Auch Zeitzeugenberichte sind immer wichtig. Geschichte muss auch außerhalb des Klassenzim­mers stattfinden.

Das machen Sie nun in extensiver Form.

Ja, ich sehe es als Chance, mehr über mich und die Welt zu lernen. Ich muss mich alleine in einem fremden Land zurechtfinden.

Chemnitz ist 2025 Europäische Kulturhauptstadt. Was erwarten Sie?

Das Wort Kultur steckt ja auch in Erinnerungskultur, und mir ist wichtig, dass dieser Aspekt nicht außer Acht gelassen wird. Ich bin stolz auf unsere Stadt und freue mich über den internationalen Austausch im Jahr. Wir werden alle davon profitieren und hoffentlich gegenseitig voneinander lernen.

 

 

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