Über die tiefe Verbundenheit zu Israel
Rolf und Uta Zeidler leisten ehrenamtliche Hilfe in Israel
Interview vom 25. September 2024
Das Ehepaar Rolf und Uta Zeidler aus Chemnitz reist seit 15 Jahren regelmäßig nach Israel. Sie leisten vor Ort Hilfe, unterstützen wo sie können. Seit vor einem Jahr die Hamas Israel überfallen hat, ist die Hilfe der beiden Chemnitzer ganz besonders wichtig. Wie sie konkret anpacken können, haben sie uns im Interview erzählt.
Herr Zeidler, Sie kommen direkt aus Kirjat Bialik. Am 22. September gab es dort einen Raktenangriff. Es wurden Häuser zerstört, Menschen verletzt. Wie ist die Stimmung in der Stadt und bei den Menschen?
Rolf Zeidler
Ich komme nicht direkt aus Kirjat Bialik. In den letzten Tagen waren wir in Jerusalem. Dort befindet sich quasi eine deutsche Basis, bei der auch wir öfter waren. Es ist ein christliches Haus, wo aus ganz Deutschland Menschen kommen, die für eine gute Beziehung und Hilfe für Israel einstehen. Die das Land unterstützen, zum Teil mit in die Ernte gehen oder an anderen Orten helfen, Essen für Soldaten zubereiten, in der Armenspeisung helfen. Dinge, die wir auch schon im Januar dieses Jahres, damals meist weiter im Norden, bis an die Grenze im Evakuierungsgebiet, getan haben.
Inzwischen konnte ich erneut mit Fr. Dr. Alona Eisenberg, der Sekretärin des Bürgermeisters von Kirjat Bialik, Eli Dukorsky, telefonieren. Sie hat mir berichtet, dass momentan sehr große Unsicherheit in der Stadt ist und viel Hilfebedarf. Sie sind rund um die Uhr dabei, sich für besorgte Bürger und Hilfen in der Stadt einzusetzen.
Wir hatten daher nur einen kurzen erneuten Kontakt, nach unserem längeren Treffen, wenige Tage zuvor. Ich habe ihr nochmals versichert, dass wir wirklich mit ihnen stehen hier in Chemnitz und sie unterstützen, wir von Herzen bei ihnen sind. Und ich merke, wie gut ihnen das tut.
Was verbindet Sie mit Israel? Woher kommt es, dass Sie regelmäßig dort sind?
Das ist eine längere Geschichte. In Israel selbst waren wir vor reichlich 15 Jahren das erste Mal und der Anlass war damals eine Reise zu unserer Silberhochzeit. Ein Grund ist unsere besondere historische Beziehung zu Israel, viel Leid wurde jüdischen Menschen durch Deutschland, durch unsere Vorfahren angetan. Auch in unsere Familie gab es einen Großvater, der an der Ostfront im Zweiten Weltkrieg daran beteiligt war, was wir erst später durch Recherchen erfahren hatten. So war es uns ein Anliegen, als Deutsche zu zeigen, dass wir Freunde sind.
Bereits zweimal hat meine Frau in einem Heim für Holocaustüberlebende länger aushelfen können. Wir waren in Haifa in einem Heim, welches von der Internationalen Christlichen Botschaft Jerusalem getragen wird, unterstützt unter anderem mit Geldern aus Deutschland. Da stellte sich heraus, dass eine Krankenschwester fehlte, da eine Helferin im Ehrenamt plötzlich ausreisen musste. Meine Frau war früher einmal als Krankenschwester tätig und hat spontan gesagt, sie macht sich frei und war dann zweimal etwa zwei Monaten vor Ort und hat geholfen. Inzwischen weiß ich, dass Holocaustüberlebende im Norden, im Evakuierungsgebiet zum Beispiel in Maalot, wo auch einer unserer Söhne einige Monate in einem Sozialdienst tätig war, seit Monaten unter der Erde leben müssen. Ohne Tageslicht werden sie dort gepflegt. Das muss man sich einmal vorstellen.
Am 7. Oktober jährt sich der Angriff der Hamas auf Israel zum ersten Mal. Was hat der Angriff in Ihnen ausgelöst?
Das Massaker im Oktober hat uns tief bewegt. Meine Frau und ich haben uns gefragt: Wie und wo können wir jetzt helfen? Als man wieder reisen konnte, sind wir nach Israel geflogen, um das Land zu unterstützen und die Menschen zu ermutigen. Im Januar sind wir bewusst in den Norden Israels gefahren. Da waren wir auch zur Essensbereitung für Soldaten, das wurde dort verpackt, gespendet von regionalen Gemeinden, die im Umfeld ansässig sind. Ebenfalls waren wir in der Ernte, denn die Erntearbeiter fehlten. Israelis wurden eingezogen als Reservisten und viele Gastarbeiter haben das Land verlassen müssen. Diese lange Kriegszeit ist auch ein großes ökonomisches Problem.Besonders die Not der Geiseln in Gaza bewegt uns tief, wir hatten ja im Januar die Mutter und die Schwester einer Geisel aus Kirjat Bialik persönlich getroffen.
Wann waren Sie das erste Mal in der Chemnitzer Partnerstadt Kirjat Bialik?
Bevor wir im Januar nach Israel reisten, haben wir mit Dr. Ruth Röcher, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Chemnitz [Anm. d. Red.], Kontakt aufgenommen. Über sie kamen wir in Kontakt mit Mitarbeitern des Rathauses und damit auch zur Partnerstadt Kirjat Bialik. Also haben wir die Stadt besucht. Wir wussten nicht, an welchem Tag wir dorthin kommen werden und sind dann irgendwann, als es passte und wir einen PKW zur Verfügung hatten, zwischen unseren Einsätzen einfach rübergefahren, haben kurz angerufen: „Heute kommen wir.“
Als wir nach Kirjat Bialik kamen, fing fünf Minuten später eine Veranstaltung zum Gedenken an den 100. Tag der Entführung der Geiseln, auch des Soldaten Matan Angrest aus unserer Partnerstadt, an. Wir lernten die Menschen näher kennen. Da war die Mutter des Entführten und seine Schwester. Dann hat es sich spontan ergeben, dass der Bürgermeister im Anschluss an die Veranstaltung uns auch in sein Büro eingeladen hat, zusammen mit der Mutter von Matan Angrest und seiner Schwester.
Was ist mit dem Soldaten passiert?
Matan Angrest war als Soldat im Rahmen seines regulären Militärdienstes am Grenzübergang Kibbuz Nahal Oz, 800 Meter entfernt von der Grenze zu Gaza, in einer Panzerdivision eingesetzt. Bei dem Überfall ist es zu Kämpfen gekommen. Und dieser Panzer wurde beschossen und getroffen. Alle seine Mitinsassen im Panzer sind gestorben. Er war der einzige Überlebende. Und diesen einzigen Überlebenden haben sie dann gefangen genommen und in die Tunnel verschleppt. Seitdem ist er in diesem Tunnelsystem. Wir haben durch interne Quellen erfahren, dass er noch am Leben sein soll. Inzwischen hat sich seine Schwester freiwillig zum Dienst als Soldatin gemeldet und sich bewusst in Gaza einsetzen lassen. Was das für diese Familie, für die Mutter bedeutet. Er ist schon seit einem Jahr dort und jetzt geht die Tochter nach Gaza in diesen Krieg.
Gemeinsam mit der Jüdischen Gemeinde haben Sie Geld für Projekte in Israel gesammelt. Welche Projekte konnten mit dem Geld umgesetzt werden?
Als wir im Januar in Israel, auch in Kirjat Bialik waren, haben wir einen der Kindegärten besucht. Er war komplett verlassen, weil er keinen Bunker hatte. Dann haben wir die Kinder besucht, die eigentlich in diesen Kindergarten gehen. Dieser Ersatzraum war in der Stadtbibliothek, in einem Raum, der zusätzlich mit einem Bunker gesichert ist. Aber das hieß, dass sie Monate in Räumen waren, ohne Tageslicht. Dort haben die Kinder gespielt. Mit dem Geld, das in Chemnitz, organisiert über die Jüdische Gemeinde, gesammelt wurde, konnte inzwischen unter anderem für diesen Kindergarten in Kirjat Bialik ein Bunker aufgestellt werden. Als wir jetzt nochmals in Kirjat Bialik waren, haben wir uns diesen Kindergarten wieder angesehen. Und jetzt ist der Kindergarten lebendig, im Betrieb. Das war so schön. Die Kindergärtnerinnen und die Kinder haben uns empfangen mit einem auch in Deutschland bekannten Kinderlied, welches wir spontan mitsingen konnten. Wir konnten uns diesen Bunker ansehen, der da jetzt steht. Ja, und jetzt sind die Kinder wieder draußen im Licht und spielen fröhlich mit ihren Spielgeräten und haben eine gewisse Sicherheit.
Wie muss man sich das vorstellen? Ist der Bunker ein Gebäudekomplex, welcher daneben steht?
Genau, es ist ein einzelnes, danebenstehendes Gebäude. Es ist ungefähr fünf Meter von der Tür des Kindergartens entfernt. Das ist schon sehr karg. Es stehen lauter Stühlchen drin, eine kleine Musikanlage, womit man Kinderlieder spielen kann. Ebenfalls ist eine Anlage integriert, die Außenluft filtert und ein Vorrat an Wasser. Der Bunker ist sicher gegen Druckwellen. Wenn Bombenalarm ist, können die Kinder sofort Schutz suchen.
Gibt es weitere Bestrebungen Ihrerseits, weiterhin dort zu helfen?
Inzwischen fehlt bei nur noch einem Kindergarten, von insgesamt etwa 70, ein Bunker. Anderer Bedarf bleibt natürlich. Wir sind verbunden mit unserer Lutherkirche und dem stadtweitem Verein „Miteinander für Chemnitz“ sowie mit der Jüdischen Gemeinde. Wir haben seit unseren Reisen eine WhatsApp-Gruppe, da sind etwa 50 Leute drin, die Anteil nehmen an unseren Aktivitäten, die beten oder spenden. Der Kontakt wird weitergehen. Inzwischen wurden ja bei weiteren Raketenangriffen auch Wohngebäude in Kirjat Bialik getroffen.