Fritz50: Kindheit und Jugend im Fritz-Heckert-Gebiet

Über 38 Prozent der Chemnitzer Kinder der 1970er bis 1990er Jahre wuchsen im Heckert Gebiet auf. Eine von ihnen ist Manuela Klitzsch. In kurzweiligen Episoden vom Alltag im Kindergarten, über den Geruch der Hausflure bis hin zu großen Festlichkeiten in zu kleinen Wohnzimmern erinnert sie sich augenzwinkernd und detailverliebt an eine Kindheit im Karl-Marx-Stadt der 80er Jahre und lässt dabei authentisch die Lebenskultur einer ganzen Generation lebendig werden.

Weiterführende Informationen

Hinweis:

Die Texte und Bilder stammen von Manuela Klitzsch.

Kinder ohne Garten

Das Bild zeigt die Kindergartengruppe von Manuela Klitzsch in der Albert-Köhler-Straße 65 im Jahr 1980.

Als ich mit vier Jahren ins Fritz-Heckert-Gebiet umzog, bekam ich einen Platz in der Kinderkombination im Innenhof der Albert-Köhler-Straße, einem Gebäude, das aussah, als sei es aus vier riesigen, bunten Bauklötzern zusammengesetzt.
 

Nach dem gemeinsamen Frühstück wurde dort den ganzen Vormittag über ausgeschnitten, gefalzt, gemalt, gestempelt, geklebt, gefädelt, gesteckt, gestapelt, gebaut, geflochten und gesungen. Die Erzieherin hielt uns dabei stets zu zügigem Arbeiten und zur Ordnung am Werkplatz an… Nach dem Mittagschlaf ging es zum Spielen nach draußen. Dort gab es Bänke, Sandkästen, winzige Klettergerüste und Steintreppen mit Geländer. Man hatte ein paar Bäume gepflanzt, aber sie waren noch viel zu mickrig, um Schatten zu spenden. Entlang der Wege versuchten vereinzelte Strauchsetzlinge ein kümmerliches Wachstum, doch sie waren nicht einmal dicht genug, um ein Osterei darin zu verbergen. Blumen, Rasen oder gar Wiese suchte man hier vergebens. Es war also mehr ein Freigehege als ein Garten und doch spielten wir dort, bis uns gegen fünf Uhr nachmittags nach und nach die Eltern abholten.
 

Es war ganz anders, als ich es vorher kannte. So viele Kinder überall, so große Fenster. Aber meine Eingewöhnung dauerte nicht lang, denn ich war schnell und geschickt und oft lobte mich die Erzieherin und sagte Sätze wie: "Seht mal Kinder, wie schön die Manuela diesen Pilz ausgeschnitten und bemalt hat! Das hast Du ja wirklich ganz fein gemacht!" Von solchen Reden konnte ich mich lange ernähren. Ich ging sehr gerne in den Kindergarten und war unheimlich stolz auf die vielen Basteleien und Bilder, die ich nach Hause trug und meinen Eltern einzeln zum Loben vorlegte.


 

Schulanfang

Die Autorin, Manuela Klitzsch, als Kind bei ihrem Schulanfang im Jahr 1982 gemeinsam mit ihren Eltern.

Auf meiner Zuckertüte waren Märchenfiguren. Ich trug ein rot kariertes Kleid, ein weißes Blüschen mit passenden Häkelkniestrümpfen und einem weißen Lackgürtel. Voller Stolz stellte ich zum ersten Mal den neuen, rot-gelben Kunstlederranzen auf meinem Rücken zur Schau. Wie man ihn zu packen hatte, lernten wir gleich am ersten Tag.

Wir saßen artig, gespannt und voller Ehrfurcht in unseren Bankreihen und führten peinlich genau jede Anweisung aus. Uns allen, die wir fein gewaschen, gekämmt und angezogen dahockten, wurde in gebetsmühlenartiger Manier immer wieder vor Augen geführt, wie wichtig unser Anteil am Wachsen und Werden der sozialistischen Gesellschaft sein würde und dass wir uns würdig zu erweisen hatten, indem wir von nun an unermüdlich lernten, fragten und forschten.

Herrje! Bei einigen Jungen in der Klasse begannen die Augendeckel schon schwer zu werden. Wahrscheinlich war ihnen gerade klar geworden, worauf sie sich für ein bisschen Zuckerzeug in einer albernen Papptüte eingelassen hatten. Stillsitzen und "Männchen machen" auf Anrede, sie waren bedient. Die meisten Mädchen saßen aufrecht mit übereinander liegenden Unterarmen an den Schultischen und folgten aufmerksam mit glühenden Wangen den Ausführungen unserer Klassenlehrerin. Ihr sicheres und strenges Auftreten lag in jahrzehntelanger Beschäftigung im Schuldienst begründet. Sie hatte wohl schon alles gesehen und wusste jeder Situation mit Freundlichkeit und Würde zu begegnen. Ich mochte sie sehr.


 

"Indianerfest" zum Kindertag

Das Foto, entstanden um 1984, zeigt Manuela Klitzsch als Kind in einem "Indianerkostüm".

Am 1. Juni jeden Jahres, zum Kindertag, ging es in den Küchwald zum großen "Indianerfest". Von den naturverbundenen, ehrbaren und respekteinflößenden Ureinwohnern Nordamerikas ging eine ungeheure Faszination aus. Es gab in unseren Breiten selbst unter Erwachsenen eine treue Fangemeinde, die mit kindlicher Freude lederne Wamse und Cowboyhüte trug und unserem Fest einen professionellen Rahmen geben sollte. Vielleicht war es die Nähe zu Karl May, dem Schöpfer zahlreicher Wild West Romane, geboren in Hohenstein-Ernstthal, vielleicht begeisterte das exotische Sujet auch, weil sich das Leben als DDR-Bürger bisweilen selbst wie in einem Reservat anfühlte.
 

Wir Kinder jedenfalls hüllten uns da ganz und gar unsozialistisch in wollene Röcke und braune Fransenwesten. Wir schleppten Holz herbei und bauten mit Stricken und Bindfaden kleine Unterstände, Ställe und Tipis. Die Mädchen saßen davor, bewachten die kalte Feuerstelle, bereiteten auf Baumrinde köstliche Speisen aus Zapfen und Bucheckern zu und wiegten die in Kunstleder eingeschlagenen Babypuppen. Die Jungen stürzten mit Gebrüll durchs Unterholz, jagten Wild oder einander, nahmen gefangen, knebelten und fesselten, befreiten und beschossen sich mit Plastikpistolen.

So vergingen acht Stunden wie im Fluge und als ich mit allerlei Holzgerät bewehrt, schmutzig und zerzaust am frühen Abend meinen Eltern wieder unter die Augen trat, hatte ich ehrlich das Gefühl, von einer weiten Reise heimgekehrt zu sein.

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