Chemnitzer Zeitzeugen: Harry Albrecht

Als der Krieg begann war ich 8 Jahre alt. Als er zu Ende war, hatte ich fast das 14. Lebensjahr erreicht. Der Krieg hat uns den Vater geraubt. Er hat uns Elend, Hunger, Not, Angst und Wut gebracht. Wut über Hitler und seine verbrecherischen Welteroberungspläne. Geblieben sind traumatische Erinnerungen.

Deshalb bleibt meine Devise, wie sie in der Erklärung der Buchenwald Häftlinge verfasst war: Nie wieder Faschismus – nie wieder Krieg.

 

So war es bei uns am 5. März 1945. Das jaulende Quieken der Sirenen lässt uns wie stets erschauern. Mutter packt Ali, ich nehme Eva an die Hand. Kurt und Jürgen schnappen sich die Taschen. Fliegeralarm! Abgestumpft trotten wir die Treppen zum Keller runter. Der lange Gang ist schon besetzt.

Wir haben unseren Unterschlupf in einer Nische. Das grausige Dröhnen der Bombengeschwader erstickt alle anderen Geräusche.

 

Lautes Stöhnen und Winseln im Raum. Stoßgebete und immer wieder „Wir wollen nur trocknes Brot essen – wenn nur der Krieg zu Ende ist.“ Da! Uns packt tiefes Erschrecken, ein Jaulen und durchdringendes Pfeifen lässt uns in rasender Angst erstarren. Was war das? Ein Knall folgt. Das Dröhnen der Flugzeugmotoren wird geringer. Der Luftschutzwart ruft nach mir. Wir müssen den Dachboden kontrollieren. Tatsächlich 2 nicht gezündete Stabbrandbomben werfen wir durch ein glasloses Fenster. Draußen stehen immer noch Christbäume im leichten Niedergleiten am Himmel. Als ich mit Bruder Kurt das Haus verlasse, gibt es Überraschungen. In der letzten dreiviertel Stunde ist eine Masse Schnee gefallen. Dadurch wurden die Feuerbrände etwas gedämpft. Zweitens stellen wir mit fassungslosen Entsetzen fest, dass keine 50 Meter von unserem Haus entfernt ein wuchtiger Blindgänger liegt. Später erweist er sich als eine Zentner-Bombe. Wir rennen zur Annaberger Straße. An der stadtauswärts führenden Straßenseite stehen die Häuser im Brand.

 

Auf der Kreuzung Annaberger / Olbernhauer / Schneeberger Straße stand der imposante Bau von ganz Oberaltchemnitz. Der „Rotsteiner“. Ein Haus aus rotem Mainsandstein. Die Fassade war mit herrlichem Steinmetz- und Bildhauer-Elementen gestaltet. Es war ein architektonisches Kunstwerk. Was wir jetzt erblicken ist ein qualmender Trümmerhaufen. Da drinnen wohnte unser Haarschneider und die Kneipe war die Interessanteste im weiten Umkreis. (…)

 

Völlig aufgekratzt kommen wir nach Hause. Mutter und Geschwister liegen in den Betten. Schlafen können wir in dieser Nacht nicht mehr.

 

Anfang April kommt am späten Abend Onkel Karl. Als Fensterputzer war er in der Brotfabrik. Mit seinen Kollegen gelingt es ihm einen Sack Mehl und ein paar Brote zu klauen. Uns bringt er Drei. Eines schlachten wir sofort. Als die Meldung durchs Radio kommt, Hitler ist krepiert, freuen wir uns riesig. Mutter holt die eiserne Reserve aus dem Koffer. Ein Kommisbrot und eine Dose Leberwurst. Festessen! Mit dem Essen war’s übel. Immer zu wenig. Butter, die wir auf Marken bekamen, wurde beim Öhme-Bäcker gegen Brot eingetauscht. Für uns war diese Schmiere tabu. Rotzsupp gab’s als tägliche Nahrung: rohe Kartoffeln gerieben, in kochendes Wasser gegeben, etwas Salz ran und das Menü war fertig. Es schmeckte scheußlich – eben Rotzsupp.

 

(…)

Unsere Haltung gegen Hitler, gegen den Faschismus hat Mutter geprägt. Das war nicht einfach. Schule und „Jungvolk“ vermittelten täglich Nazipropaganda. Mutter aber lehrte uns rote Lieder. Die Internationale sangen wir leise in der Wohnung, lange bevor wie sie auf der Straße zum 1. Mai zu Demonstrationen laut schmettern durften. Lesen und Singen gehörte zu Mutters Alltag. Ihren Kindern hat sie das als Vermächtnis weitergegeben. Als der Krieg zu Ende war, freuten wir uns mit der großen Mehrheit der Menschen. Es folgten aber noch Jahre des Hungerns und der Entbehrungen.

Hier hat der Zeitzeuge seine Geschichte erlebt:

Zeitzeugen-Broschüren

Der ewige März

Titelbild der Broschüre

Erinnerungen an eine Kindheit im Krieg


Die letzten Zeugen

Titelbild der Broschüre

Als das alte Chemnitz im Bombenhagel starb

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