Chemnitzer Zeitzeugen: Karlheinz Mauersberger

Gegen Ende des Krieges kam dieser auch nach Chemnitz in Form von Fliegerangriffen. Wir Kinder sahen darin nicht irgendeine Wende im Krieg. Die Bombenflugzeuge waren einfach da, so als gehörten sie zum täglichen Leben dazu. Natürlich gefiel uns das nicht und wir hatten auch Angst. Bei Alarm, meistens nachts, mussten wir uns schnell anziehen und runter in den Keller. Das nervte schon. Wahrscheinlich mehr bei unserer Mutter, denn sie musste für drei Kinder sorgen. Der Kleinste war erst drei Jahre alt. Im Keller hatte jeder seinen Platz. Wasser stand in Gefäßen bereit. Der Keller war voller Menschen. Es gab ja auch mit dem Erdgeschoss 5 Etagen. Waren wir im Keller, hieß es warten bis zur Entwarnung. Die Frage lautete immer: kommen sie heute zu uns oder nicht? Es gab immer Radiomeldungen über die Fluglage. Anhand dieser Meldungen konnten wir ungefähr wissen, wo sich die Flugzeuge befanden. Da wir Parterre wohnten, blieb ich am Radio sitzen und hörte die Durchsagen. Ich war immerhin schon 10 Jahre alt. Ich lief dann in den Keller und gab diese Meldungen weiter. Wenn es nicht gefährlich war, beobachteten wir auch vor dem Keller den Himmel, bei Tag und auch in der Nacht. Wir sahen die Bomber, sahen den Abwurf der „Christbäume“ als Zielmarkierung für die nachfolgenden Bomber. Die Stadtmitte lag am häufigsten im Bombenhagel. Auch Silberfäden fielen vom Himmel. Nach der Entwarnung sammelten wir Kinder die Granatsplitter der Flak und eiferten um die größten Stücke. Das Feuern der Flakgeschütze hörten wir.
Wir Kinder sind aber nicht in die Stadt gefahren bzw. gegangen, um nachzusehen, wo die Bomben einschlugen. Auf diese Idee kam keiner von uns. Nicht nur Fliegerangriffe erinnerten uns, dass es Krieg war. Gegen Ende des Krieges führen immer mehr Militärtransporte an unserem Haus vorbei. Beladen mit Kanonen, Panzer, Fahrzeuge und immer winkenden Soldaten.

Die Bernsdorferstraße war eine lange Straße. Rechts und links kompakte Häuserzeilen. Es gab kaum Häuserlücken. Die Flugzeuge hatten diese Straße weitestgehend in Ruhe gelassen. Bis auf eine Bombe – die vor dem 5. März 1945 ein Haus traf – unser Kino, das Edentheater Bernsdorferstraße 34! Eine einzelne Bombe! Ausgerechnet unser Kino. Wir waren gute Kinogänger.

5. März 1945
An einem Wochenende wollte unsere Mutter mit mir (10 Jahre alt), Wolfgang (7 Jahre alt) und Dieter (3 Jahre alt) nach Seiffen eine Bekannte besuchen. Ich erinnere mich noch, wie unsere Mutter eine Nachbarin, Frau Winkler, bat, Brötchen, Milch und Butter einzukaufen. Frische Brötchen und Butter aß ich besonders gern. Der Besuch war wie jeder andere. Nichtsbesonderes. Aber die Rückreise war anders. Auf dem Weg zum Seiffener Bahnhof mussten wir erst einmal einen Luftschutzraum (LSR) aufsuchen. Es flogen Flugzeuge über Seiffen. Auf dem Weg zum Bahnhof, 3 Km immer bergab, sahen wir in der Ferne einen feuerroten Himmel. Es musste etwas brennen. Wir wussten aber da noch nicht, dass Chemnitz brennt. Wir stiegen in Seiffen Dittersbach in den Zug, der von Neuhausen kam. Auf Höhe Flöha bremste der Zug und kam zum Stehen. Wir werden angegriffen, hieß es. Alles raus und sich auf den Feldern verteilen. Auch Mutter mit ihren drei Kindern. Der Zug wurde nicht angegriffen, wir stiegen wieder ein und weiter ging die Fahrt nach Chemnitz. Dachten wir. In Hilbersdorf war Schluss. Chemnitz brennt, es ist alles kaputt. Was nun. Mutter mit drei kleinen hungrigen und müden Kindern. Wir wollten nach Hause, in die Bernsdorferstraße 7. Was blieb unserer Mutter übrig. Es ging zu Fuß mit Kinderwagen weiter. Ich vermute, wir sind die Frankenberger Straße entlanggegangen. Ob sie damals auch so hieß, weiß ich nicht mehr. Es brannte. Überall. Hitze, Trümmer und viele herumirrende Menschen. An Brötchen und Butter habe ich nicht mehr gedacht.

Wir gelangten unversehrt auf den alten Johannisfriedhof mitten in der Stadt. Dieser war voller Menschen. Ringsherum brannte alles. Auch die Industrieschule brannte, aber nur das Dach. Meine Großeltern und meine Tante (2 Jahre älter als ich) wohnten in der Theresienstraße 1, gleich neben dem Johannisfriedhof. Ihr Haus wurde getroffen. Sie konnten sich alle retten. Später erzählte sie mir auch von der brennenden Industrieschule. Aber bei den vielen Menschen war es unmöglich eine bestimmte Person zu treffen bzw. zu finden. Das Dach der Industrieschule wurde am nächsten Tag gelöscht. Diese Schule gibt es heute noch.

Mutter traf Bekannte, die ihr sagten, unser Haus gibt es nicht mehr. Aber es hätten sich alle retten können. Ein schwacher Trost. Aber immerhin – wir hätten uns also auch retten können. Die vielen Menschen waren alle obdachlos. Wir auch. Ein zu Hause gab es nicht mehr. Aus mit Brötchen essen und dann schlafen gehen. Wir hatten nichts mehr. Kein Geld, keine Bekleidung zum Wechseln, nichts. Was macht dann eine Mutter mit drei Kindern. Es war nachts. Keine Bleibe. Auch morgen nicht. In der Nähe des Schlossteiches sprach uns jemand an und nahm uns mit. Wir hatten erstmal für eine Nacht eine Unterkunft. Wir drei lagen in einem Bett.

Wie es weiter ging weiß ich nicht mehr so genau. Mutter hatte erfahren, dass es in Flöha eine Turnhalle als Auffanglager für Obdachlose gibt. Wir sind wahrscheinlich mit dem Zug dorthin und blieben ein paar Wochen in dieser Turnhalle. Für jeden gab es eine Turnmatte. Decken und Verpflegung gab es auch. Da Mutter in Seiffen eine Bekannte hatte – war es folgerichtig, dass wir nach Seiffen zogen. Hätten wir unsere Großeltern und meine Tante getroffen, wären wir wahrscheinlich mit ihnen nach Thalheim zur Tante Else und Onkel Herrmann gezogen. 

Hier hat der Zeitzeuge seine Geschichte erlebt

Zeitzeugen-Broschüren

Der ewige März

Titelbild der Broschüre

Erinnerungen an eine Kindheit im Krieg


Die letzten Zeugen

Die letzten Zeugen

Als das alte Chemnitz im Bombenhagel starb

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