Chemnitzer Zeitzeugen: Rolf Pfüller
Foto: Franziska Kurz
Schreckliche Bilder knüpfen sich in meiner Erinnerung an den Bombenangriff am Tage des 5. März. Eine Tante meiner Mutter war gestorben, und die Beisetzung auf einem Friedhof am anderen Ende der Stadt hatte am Vormittag stattgefunden. Als wir auf dem Heimweg mit der Straßenbahn das Stadtzentrum erreicht hatten, überraschte uns der Voralarm. Unweit von dieser Stelle befand sich der Betrieb, in dem mein Großvater als Wächter arbeitete. Er kannte die dortigen Luftschutzeinrichtungen und brachte uns also dorthin. Der Zugang zum Betrieb befand sich in unmittelbarer Nähe vom Johannisplatz, einem verkehrsreichen Knotenpunkt der Stadt, auf dem sich auch mehrere Straßenbahnlinien kreuzten. Im Keller erlebten wir das Bombardement. Die Erde bebte, das Licht flackerte und erlosch, die Wände wackelten, Putz bröckelte von Decke und Wand, die Luft war stickig und voller Staub. Wir lagen auf dem Boden, meine Mutter hatte sich über mich gelegt und bedeckte mich mit ihrem Körper. Es dauerte sehr lange. Immer, wenn eine Angriffswelle ihre Bombenlast abgeworfen hatte und etwas Ruhe eingetreten war, versuchte ein Luftschutzwart neue Nachrichten von draußen zu erlangen. Immer wieder rief er in den Keller, dass eine neue Welle von Bombern im Anflug sei.
Dann war endlich Schluss mit dem Inferno. Unser Keller war nicht getroffen worden, und wir konnten ihn verlassen. Ich weiß nicht mehr, ob wir über Trümmer klettern mussten, ich kann mich nicht erinnern, ob Menschen schrien, ob Feuerwehren im Einsatz waren, wie wir durch die zerstörte Stadt nach Hause gekommen sind. Ich sehe nur immer ein Bild vor mir: ein scherbenbedeckter Platz, rund um Ruinen, auf der anderen Seite ein Riesenfeuer, in der Mitte des Platzes ein Betonmast, der die Fahrleitungen der sternförmig vom Platz ausgehenden Straßenbahnlinien getragen hatte und jetzt nur noch von zerrissenen, zu Boden hängenden Leitungen und Drahtseilen umgeben war, an seinem Fuß ein qualmender Bombentrichter.