Nischel Jubiläum: Weggefährten erinnern sich

Das Ensemble, das keine andere Stadt der Welt hat

Norbert Engst, ehrenamtlicher Historiker

Interview mit Norbert Engst
Dieses Video wird von youtube.com abgerufen.

Bei Abspielen des Videos werden Cookies des Drittanbieters gesetzt.
Datenschutz-Hinweise Youtube

Norbert Engst ist ehrenamtlicher Historiker. Die Geschichte und Architektur von Chemnitz sind sein Spezialgebiet. Für die Ausstellung »DenkMAL Karl Marx« der Stadt Chemnitz hat Norbert Engst bei den Recherchen geholfen. Was hat er herausgefunden?


Sie haben zusammen mit dem Chemnitzer Stadtarchiv ein Buch über die Geschichte des Heckert-Gebiets geschrieben. Was fasziniert Sie so an der Architektur der DDR?

Dass sie allgegenwärtig ist – überall sehen wir die Architektur der DDR. Wer dazu noch im Fritz-Heckert- Gebiet wohnt, ist eigentlich jeden Tag und jede Nacht von dieser Architektur umgeben. Interessant ist auch, wenn man sich mit den Architekten und Stadtplanern von damals befasst, wie international sie damals schon gedacht haben. Denn dieser industrielle Wohnungsbau ist ja nicht nur in Karl-Marx-Stadt praktiziert worden. Man hat ja auch viel recherchiert, zum Beispiel zur Architektur der DDR, wie weit die mit den Themen damals schon waren: Beispielsweise haben sie sich Alternativen zum Beton überlegt oder wie man mehr Fahrräder in die Stadt bringen könnte.


Sprechen Sie bei Ihrer Recherche auch mit Zeitzeugen?

Ja, soweit das noch möglich ist. Meine Themen sind die 60er und 70er Jahre. Viele von den Stadtplanern und Architekten von damals leben noch und ich rede immer gerne mit ihnen. Da bekommt man Zugang zu Informationen, die in keinen Akten stehen, in keinen Büchern.


Was treibt Sie dazu an, sich ehrenamtlich mit diesen Themen zu beschäftigen?

Es ist eine gewisse Ehre. Gerade 50 Jahre Karl-Marx-Monument, das hat man nur einmal. Und es ist auch ein besonderes Denkmal, also da angesprochen worden zu sein von der Stadt, für die Ausstellung zu recherchieren, das ist schon eine besondere Ehre.


Sie haben geholfen, die Informationen für die Stele und die Ausstellung zum Jubiläum des Monuments zusammenzutragen. Was hat Ihre Recherche ergeben?

Es gab durchaus interessante Momente, beispielsweise wie knapp der Zeitplan war für den Guss der Teile, den Transport und die Montage. Die Teile wurden im August 1971 gegossen, kamen dann Ende August erst in die DDR, wurden im September zusammengeschraubt und am 9. Oktober 1971 fand die Einweihung bereits statt. Da durfte nichts schiefgehen.


Was haben Sie über die Einweihung selbst herausgefunden?

Sie wurde auch akribisch geplant: Es gab eine Sonnenvariante und eine Regenvariante – sie sollte ja im Oktober sein. Es gab ein umfangreiches Programm, es gab auch viele Varianten, die zwischen Sommer 1971 und Oktober 1971 immer wieder abgeändert worden sind. Das war ein ziemlicher Planungsprozess.


Wie sahen die beiden Wettervarianten aus?

Die Sonnenvariante ist ja realisiert worden mit den ganzen Gästen auf der Bühne. Wenn es geregnet hätte, wäre viel ins Wasser gefallen: Die Ansprachen hätten so nicht stattfinden können, auch der Aufmarsch nicht. Aber wichtig war auch im Regenfall, dass Pressefotos gemacht werden konnten, um das Ereignis in Szene zu setzen.


Hätte die Regenvariante mit genauso vielen Menschen stattfinden sollen?

Ob die dann alle gekommen wären, das weiß man nicht (lacht). Aber umso mehr sind natürlich gekommen, weil die Sonne schien.


Welche Rolle spielte der Bau des Karl- Marx-Monumentes bei der Neugestaltung der Innenstadt?

Man kann schon sagen, das Karl- Marx-Monument hat vielen Planern Kopfzerbrechen bereitet. Der Wiederaufbau von Chemnitz oder Karl- Marx-Stadt zog sich ja über 20 Jahre hin, von den frühen 50ern bis in die 70er. Ständig wurden die Pläne ausgereift und lagen fertig vor – dann wurde Karl-Marx-Stadt Bezirksstadt, dann Industriestadt, Chemnitz wurde der Name Karl- Marx-Stadt verliehen und jedes Mal mussten die Pläne überarbeitet werden. Sie mussten höherwertig sein und alles musste umgebaut werden. Und schlussendlich gab es die Forderung, dem Namen gerecht zu werden mit dem Monument. Interessant ist auch: So hoch Karl Marx auch angesehen war in dieser Zeit, mit dem Beginn des Wohnungsbaus war erst einmal Schluss mit dem Aufbau der Innenstadt. Der Wohnungsbau war höher angesiedelt als der Aufbau der Innenstadt, weshalb die Innenstadt ein bisschen unvollendet geblieben ist.


Das Karl-Marx-Monument sollte ursprünglich im Stadthallenpark seinen Platz finden, dazu kam es aber nicht. Was wissen Sie darüber?

Es war nicht repräsentativ genug. Von ganz oben wurde bestimmt, dass es in der Gesellschaft viel präsenter, sichtbarer sein und nicht so am Rande stehen soll. Und größer sollte es auch werden. Erste Pläne veranschlagten das Monument bei 1,50 Meter, 1,80 Meter, zwei Metern. Am Ende ist es dieses Monument geworden, wie wir es heute sehen und es musste dann an einer viel repräsentativeren Stelle stehen.


Die Straße vor dem Monument wurde anschließend in Karl-Marx-Allee umbenannt. Was haben Sie darüber herausgefunden?

Das war eigentlich das Hauptanliegen dieser Straße: Sie wurde extra mit dem Zweck so breit und so lang geplant, dass stehende und laufende Demonstrationen vorbeiziehen konnten. Das ist sogar am Modell getestet und mit Mitarbeitern des Stadtplanungsamtes geprobt worden. Das Ergebnis war diese repräsentative Karl-Marx-Allee, die eine Sackgasse ist. Man musste die Möglichkeit haben, in den Sackgassenbereich hineinzulaufen, weil die Demonstrationen nicht zum Stocken kommen durften, sie mussten mit vollem Marsch durchlaufen können.


Was können Sie zur Probe mit dem Stadtplanungsamt erzählen?

Das fand provisorisch statt. Anders konnte man sowas noch nicht modellieren, heute würde man das vielleicht am Computer machen. Da hat man im kleineren Maßstab das Ensemble nachgebaut, mit Kulissen versucht, das Monument nachzustellen und mit Mitarbeitern des Stadtplanungsamts eine kleine Demonstration organisiert. Und aus der Ferne hat man geschaut, wie das wirken könnte.


Wie hat sich die Einstellung der Chemnitzer: innen zum Karl-Marx-Monument mit der Zeit verändert?

Ich glaube, die Einstellung hat sich einmal um 180 Grad gedreht. Ich meine, zu DDR-Zeiten hatten wir den organisierten Jubel, nach der Wende war es dann eher die Verschmähung und heute ist es ein Kultobjekt geworden. Es ist Werbeträger für ganz viele, sei es Biersorten oder für Firmen, die mit dem Monument werben. Das ist einfach der gesellschaftliche Wandel. Es gibt immer mehr Leute, die natürlich mit dem Werk und der Person und dem Denkmal als solches nichts mehr anfangen können, für sie ist es einfach ein Kultobjekt.


Was beeindruckt Sie am Karl-Marx-Kopf?

Es ist der städtebauliche Effekt: Es wirkt schon, was man sich damals ausgedacht hat. Gerade, wenn man die Straße der Nationen entlangläuft, rechts hinüberschaut, es öffnet sich der Blick auf das Monument und im Hintergrund das Kongreß-Hotel. Ich habe auch im Umgang mit der ganzen Ausstellung gelernt, wie die Gästeführer:innen ihre Gäste an das Monument heranführen: Auch da gibt es sehr spektakuläre Ecken mit einem Aha-Effekt. Wo man einfach um die Ecke kommt und dann steht dieses Ensemble da, das keine andere Stadt der Welt hat.


Was denken Sie heute über das Karl-Marx-Monument?

Ich bin eigentlich froh, dass wir es haben. Ich kenne natürlich auch Leute, die ihre Probleme mit dem Denkmal haben, ich höre ihnen auch gerne zu, aber da muss man das Denkmal, die Person und sein Werk trennen von dem, was später daraus gemacht wurde. Leute, die Probleme damit haben, haben sie aber eher mit der Zeit, in der das Denkmal geschaffen wurde, als mit dem Denkmal selbst. Ich bin froh, dass wir den Karl-Marx- Kopf haben, dass er nicht an andere Städte verliehen wurde und er soll auch immer hier stehen bleiben.


Sind Sie bei Ihrer Recherche auch auf Anekdoten gestoßen?

Bei den Recherchen sind schon neue Dinge herausgekommen, die ich so auch noch nicht kannte. Beispielsweise ist irgendwo im Sockel des Monuments eine Zeitkapsel versteckt. Eine 20 x 80 Zentimeter große Kassette mit Dokumenten der Zeit wurden dort einbetoniert. Sie ist nicht in den Plänen verzeichnet, wir wissen nicht, wo sie ist, aber sie ist da.

Norbert Engst, ehrenamtlicher Historiker

Cookie Einstellungen

Wir verwenden auf dieser Website mehrere Arten von Cookies, um Ihnen ein optimales Online-Erlebnis zu ermöglichen, die Nutzerfreundlichkeit unseres Portals zu erhöhen und unsere Kommunikation mit Ihnen stetig zu verbessern. Sie können entscheiden, welche Kategorien Sie zulassen möchten und welche nicht (mehr dazu unter „Individuelle Einstellung“).
Name Verwendung Laufzeit
privacylayer Statusvereinbarung Cookie-Hinweis 1 Jahr
cc_accessibility Kontrasteinstellungen Ende der Session
cc_attention_notice Optionale Einblendung wichtiger Informationen. 5 Minuten
Name Verwendung Laufzeit
_pk_id Matomo 13 Monate
_pk_ref Matomo 6 Monate
_pk_ses, _pk_cvar, _pk_hsr Matomo 30 Minuten

Datenschutzerklärung von Matomo: https://matomo.org/privacy/