Ein Herz für andere
Steffi Wagner
Macherin der Woche vom 11. November 2015
Eine ordentliche Portion Energie ist wohl die Grundvoraussetzung, um jede Menge Arbeit zu verrichten. Wenn diese Arbeit dann aber auch noch aus Menschenliebe geschieht, ohne auch nur einen Cent damit zu verdienen, dann ist das ein Fall für den „Macher der Woche“. Inzwischen gibt es über 20 Initiativen und Angebote in Chemnitz, in denen sich Chemnitzer für Flüchtlinge einsetzen. Eine von ihnen ist Steffi Wagner, im Berufsleben Maklerin. Doch seit einigen Monaten widmet sie ihre Zeit weniger ihrem Geschäft sondern den Flüchtlingen, die in Chemnitz ankommen und leben.
Mit der Facebook-Seite „Hilfe für Flüchtlinge in Chemnitz“ haben Sie schon über 3300 Gefällt-mir-Angaben. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, so eine Seite ins Leben zu rufen?
Steffi Wagner: Also, ich habe die Seite nicht angefangen. Die Ideengeberin ist die Fotografin Karla Mohr. Sie hat im Sommer die Seite ins Leben gerufen. Ich habe ihr irgendwann meine Hilfe angeboten, da ich sowieso den halben Tag am Computer sitze. In den ersten Wochen wurden es dann 15 Stunden und das sieben Tage die Woche, da gerade am Anfang sehr viele Anfragen und Angebote zu koordinieren waren. Als klar war, dass das Flüchtlingsthema uns noch lange beschäftigt, brauchen wir eine gute Struktur. Den Verein Netzwerk für Integration und Zukunft e. V. haben wir am 25. September gegründet. Seitdem gibt es bei Facebook unsere Seite „Netzwerk für Integration und Zukunft e.V.“.
Woher kommt Ihr Engagement für Flüchtlinge?
Das ist eine ziemlich einfache Geschichte. Ich war am 11. August dieses Jahres mit meiner Tochter in der Erstaufnahmeeinrichtung. Ein paar Tage vorher hatte ich mich bis zu den zuständigen Maltesern durchtelefoniert und habe sie gefragt, was sie brauchen. Und da hat die Malteserin aus tiefstem Herzen gesagt: „Alles!“ Dann haben wir in der Familie einen Rundruf gestartet und Spenden gesammelt. Wir hatten ein Auto voll mit Sachen und haben das rausgefahren. Dort habe ich die Menschen dann das erste Mal stehen sehen. Es war so heiß und die Flüchtlinge warteten im Schatten auf ihre Registrierung. Kleine Kinder waren dabei und das hat mich seitdem auch nicht wieder los gelassen. Wer das dort sieht und ein Herz im Leib hat, der hilft! Das hat auch nichts mit Politik zu tun, sondern mit Humanismus.
Warum haben Sie jetzt einen Verein gegründet? Macht das irgendwas einfacher?
Dafür gibt es mehrere Gründe. Großer Vorteil ist, dass wir als Verein Spenden einwerben und finanzielle Mittel einsetzen können. Das klappt auch sehr gut. Es gibt Abgeordnete, die uns momentan sehr großzügig behilflich sind. Als zweiter Punkt ist der Versicherungsschutz für ehrenamtliche Arbeit geklärt. Der Arbeitsumfang ist auch so groß, dass wir Fördermittel beantragt haben. Nun haben wir unsere Registrierung. Jetzt warten wir ab, dass wir Fördermittel bekommen und dann können wir mit der Integrationsarbeit loslegen.
Was sind die Pläne des Vereins? Was haben Sie in Zukunft vor?
Wir werden ein Begegnungszentrum ins Leben rufen, wofür wir jetzt schon fleißig Ausstattung sammeln. Dann werden wir, sobald wir die Genehmigung haben, dort Leute betreuen. Die Spendenkoordination und die Verteilung, die wir jetzt gerade machen, ist nur Feuerwehrarbeit. Die eigentliche Arbeit, nämlich die Integrationshilfe, kommt erst noch. Das Begegnungszentrum soll also wirklich die Begegnung zwischen Chemnitzer Bürgern und den Flüchtlingen zum Ziel haben. Wir wollen weiterhin dort zum Beispiel spezielle Deutschkurse für Frauen anbieten. Jetzt haben wir einen Studenten der TU Chemnitz gefunden, der für die Flüchtlinge einen Kurs zur Belehrung zum Grundgesetz (GG) anbieten möchte. Einige schimpfen ja, dass sich Flüchtlinge nicht ans GG halten. Aber wie sollen sie das auch, wenn sie das GG gar nicht kennen. Wir haben auch die Möglichkeit zusammen zu kochen und zusammen zu essen, was ja auch sehr verbindend ist. Auch einen Treffpunkt für Familienpatenschaften soll es in dem Begegnungszentrum geben. Wir haben also wirklich sehr viel vor.
Steffi Wagner ist es wichtig, die Flüchtlinge in die Gesellschaft zu integrieren. Und das fängt schon bei alltäglichen Kleinigkeiten an. Wie funktioniert eine Hausordnung? Wie wird Müll getrennt? Wenn man Flüchtlingen das nicht zeigt und erklärt, dann könne es auch nicht funktionieren und der Ärger sei vorprogrammiert. “Und dafür gibt es viele Helfer, die sich um genau solche Fragen kümmern und den Flüchtlingen zur Seite stehen“, sagt Steffi Wagner.
Welche Partner stehen Ihnen und dem Verein bis jetzt zur Seite?
Wir verstehen uns ja als Netzwerk, der auch mit weiteren Vereinen kooperiert. Da sind zum Beispiel die Aidshilfe dabei, der Familienverein Groß und Klein e. V., wir haben einen sehr guten Kontakt zum Bandbüro im Musikkombinat. Wir haben vor kurzem eine große Kleider-Spende der St.-Rochus-Kirchgemeinde in Schönau bei Zwickau bekommen. Dort haben Frauen für die Flüchtlinge auch Socken gestrickt. Wir bieten Nähtreffen, bei dem wunderbare Werke, wie Babydecken, Mützen und Schals, entstehen.
Das Schöne an der Facebook-Seite ist ja, dass Sie konkret um Hilfe bitten und wissen, wo was gerade gebraucht wird. Woher bekommen Sie denn diese Informationen?
Die Träger, die in den Flüchtlingseinrichtungen arbeiten, wenden sich ganz konkret an mich. Die rufen mich an, sagen was sie brauchen, ich stelle das ins Netz und in den meisten Fällen finden sich Menschen, die ihre Hilfe anbieten. Das passiert auf einem sehr kurzen und schnellen Weg. In Ebersdorf ist beispielsweise einem Flüchtling an einem Wochenende die Zahnprothese gebrochen. Ich habe über Facebook ganz sachte angefragt, ob jemand helfen kann. Sonntag früh halb neun habe ich das erste Mal mit dem Zahnarzt geschrieben, mittags um eins war er im Flüchtlingslager, hat einen Abdruck gemacht und am Montag war die Prothese repariert. Und genau sowas ist sensationell. Man sagt den Chemnitzern ja eine gewisse Schnarchnasigkeit nach. Aber im Moment sind hier Sachen möglich, die ich mir nie hätte träumen lassen.
Haben Sie das Gefühl, dass die vielzitierte Willkommenskultur in Chemnitz gegeben ist?
Also von einem Teil ja, von einem anderen Teil gar nicht.
Und welcher Teil überwiegt?
Ich befasse mich mit dem negativen Teil nicht, weil ich dafür einfach keine Zeit habe. Momentan werbe ich dafür, dass ich unsere Spender öffentlich würdigen kann. Mir ist es sehr wichtig, dass wir uns für die Spenden bedanken. Damit vor allem diejenigen, die gegen Flüchtlinge sind, mitbekommen, dass es eben nicht ein paar Spinner sind, die sich kümmern, sondern dass es unheimlich viele sind. Ich habe von IKEA die erste Spende geholt, weitere sind angekündigt. Andere Unternehmen bieten ihre Hilfe an. Das sind eben nicht nur eine Hand voll Menschen, die helfen. Es sind sehr viele und es werden immer mehr. Wenn uns irgendjemand helfen möchte, kann man sich immer an uns wenden. Am besten per E-Mail an niz.ev@arcor.de.
Sind sie bestrebt Bürgern ihre Ängste zu nehmen, falls sie welche haben?
Mit den Menschen, die Ängste haben, kann man ja reden. Ängste abbauen. Vorurteile durch Urteile überwinden. Und das geht nur, indem man sich die Situation konkret vor Ort ansieht. Mit Flüchtlingen in Kontakt kommt. Das Problem ist, dass viele sich die Angst nicht eingestehen – immerhin ist Angst eine Schwäche. Sie reden lieber das nach, was die Rädelsführer von sich geben und laufen mit. Deswegen planen wir auch einen Tag der offenen Tür in Einsiedel. Wir müssen uns jetzt um alle, die da sind, ordentlich kümmern. Denn wenn wir uns jetzt gut kümmern und den Menschen helfen, sich in ihrer neuen Heimat gut einzuleben, dann haben wir am Ende auch weniger Probleme.
Über die Hilfe sind die Flüchtlinge dankbar. Einige geben diese Hilfe an andere weiter. Adel zum Beispiel. Er ist seit sieben Monaten in Deutschland, hat inzwischen seinen Aufenthaltsstatus und wirkt im Verein mit. Er unterstützt den Chemnitzer Willkommensdienst und holt die Flüchtlinge vom Bahnhof ab, um sie in die Erstaufnahmeeinrichtung zu begleiten. Als Dankeschön schickt er Steffi Wagner gern mal Blumengrüße per Handy. Solche Kleinigkeiten geben ihr Kraft und Freude.
Was würden Sie Flüchtlingen in Chemnitz gern zeigen, wenn Sie mal Zeit für eine Stadttour oder ähnliches haben?
Ich würde mit ihnen ins Wildgatter gehen. Mit Familien in die Natur, Tiere beobachten, auf den Spielplatz. Wenn Sie mich zum Beispiel fragen würden, was ich den Bürgern aus den alten Bundesländern zeige: Mit denen fahre ich über den Kaßberg und genieße die neidischen Blicke. Ich bin schon ein Lokal-Patriot, Chemnitz ist eine sehr grüne Stadt. Ich fühle mich hier wohl und lebe gern hier.
Was gefällt Ihnen denn an der Stadt besonders?
Als ich ein halbes Jahr alt war, sind meine Eltern mit mir von Plauen nach Chemnitz gezogen. Ich bin quasi mein ganzes Leben schon hier. Ich habe den Eindruck, dass sich die Chemnitzer manchmal wie das 13. Kind fühlen, neben Leipzig und Dresden. Ich finde aber, wir sind auch jemand! Wir haben eine unglaublich gute Kulturszene. In den großen Zeitungen, wie zum Beispiel der Süddeutschen Zeitung, werden unsere Ausstellungen beworben. Im Opernhaus gibt es ein ausgezeichnetes Programm. Ich liebe z.B. die „Hutgeschichten - Alles auf Anfang“. Chemnitz hat Tradition, wir haben eine gute Uni, ich bin gespannt, wie sich der Brühl entwickelt. Zur Eröffnung 1980 war der Brühl voll mit Menschen. Wenn wir da wieder Leben rein bringen, dann wäre das fantastisch.
Muss man den Chemnitzern Mut machen?
Naja Mut… Mich freut es, dass wir in Chemnitz so viele Initiativen haben. Hier passieren Dinge, dass hätte ich mir vor einem Jahr nicht träumen lassen. Ich glaube, manchmal muss man die Chemnitzer schon etwas anschieben. Aber hier ist unglaublich viel Potenzial, gerade bei jungen Leuten. Ich bin positiv überrascht, was hier alles läuft.