Das schwere Jahr nach dem Aufstieg

Mario Schmidt

Macher der Woche vom 26. Januar 2018

Eine ungewohnte Situation, in der sich die Handballdamen des HV Chemnitz aktuell befinden. Die vergangene Saison war die beste der Vereinsgeschichte. Mit einer „weißen Weste“ von 22 Siegen marschierte das Team von Trainer Thomas Sandner durch die Oberliga und stieg souverän in die 3. Liga auf. Doch nach der ersten Saisonhälfte finden sich die Chemnitzerinnen auf einem Abstiegsplatz wieder – derzeit zwei Punkte vom Klassenerhalt entfernt. Panik macht sich bei den Verantwortlichen aber nicht breit, wie der Vorstandsvorsitzende Mario Schmidt erklärt. Mit Ruhe und Besonnenheit hat das Team um ihn und Trainer Sandner den HVC zu einem erfolgreichen Verein geformt. Wie, das erzählt Mario Schmidt im Macher-der-Woche-Interview.


Hast du dir das erste Jahr in der 3. Liga so schwer vorgestellt?
Mario Schmidt:
Wenn du souverän mit 22 Siegen durch eine mitteldeutsche Oberliga marschierst, hast du eigentlich einen stabilen Kader. Dann gehst du mit diesem auch in die neue Saison. Aber wenn dir Schlüsselspieler ausfallen, ist das ein herber Verlust. Deshalb ist es schon schade, dass wir uns in dieser Situation befinden. Wir haben im Vorfeld der Saison schon auf die Konkurrenz geschaut und festgestellt, dass wir da mithalten können. Auch in Vorbereitungsspielen gegen höherklassige Gegner konnten wir mithalten.

Also ist die Situation den Verletzungen geschuldet?
Ja, wir müssen derzeit ohne unsere ehemaligen Zweitligaspielerinnen Anja Schulze und Melanie Beckert auskommen. Unsere kroatische Spielerin Petra Starcek, eine ehemalige Bundesligaspielerin, ist erst seit Ende Dezember nach einer Knieverletzung und Muskelfaserriss wieder mit an Bord. Deshalb müssen wir jungen Spielerinnen, die wir eigentlich ein, zwei Jahre aufbauen wollten, extrem viel Verantwortung geben.

Was macht euch Hoffnung für den Klassenerhalt?
Wir sind optimistisch, dass sich die Verletztenliste reduziert und mit unserem Neuzugang Katarzyna Skoczynska haben wir eine weitere Option. Wir haben noch zehn Spiele und müssen einfach schauen, die nötigen Punkte zu holen.  Damit wollen wir am Samstag anfangen. Außerdem glaube ich, dass die Mannschaft trotz aller Probleme stabil ist. Wir wurden ja auch in der Hinrunde nicht abgeschossen.

Am Sonntag gastiert die HSG Plesse-Hardenberg in der Sachsenhalle Chemnitz. Anwurf ist um 16.30 Uhr. Im Hinspiel konnten die Damen des HVC einen 20:25-Auswärtssieg holen, einer von zwei Erfolgen in der Hinrunde. Daran wollen sie natürlich anknüpfen. „Anja Schulze, unsere Rechtsaußen wird wohl wieder zum Kader gehören und mit Katarzyna Skoczynska haben wir eine weitere Spielerin in der Winterpause verpflichtet, die uns variabler macht“, erzählt Mario Schmidt vor dem „extremen Schlüsselspiel“.

Am Samstag mal eben 500 Kilometer nach Birkenau – du hast einmal von „Profi-Sport für Amateure“ gesprochen. 4800 Kilometer für die bisherigen Auswärtsfahrten im Bus. Ist das nicht manchmal frustrierend?
Man muss schmunzeln, wenn man das Wort Oststaffel in den Mund nimmt. Und dann fährst du nach Mainz, Birkenau, Plesse bei Göttingen. Das ist ein Unding, wenn du in einer Oststaffel spielst und dann bis nach Mannheim fahren darfst. Auf der anderen Seite gibt es nicht so viele Mannschaften im Osten: Den Frankfurter HC, der in der Nordstaffel eine sehr gute Rolle spielt, Altlandsberg und Schwerin. Außerdem treten der HC Leipzig und Markranstädt bei uns in der Liga an.

Mit Ruhe und Besonnenheit habt ihr in den vergangenen Jahren hier etwas aufgebaut – mit dem Höhepunkt nach 20 Jahren wieder 3. Liga zu spielen. Was können andere Vereine von euch lernen?
Das weiß ich auch nicht! Auf alle Fälle hat es etwas mit Stabilität und Kontinuität zu tun. Natürlich gehört auch ein bisschen Glück mit den handelnden Personen dazu. Thomas Sandner und ich haben uns vor 14 Jahren gesucht und gefunden. Damals spielten wir in der Sachsenliga. Dann kam zwei Jahre später Jörg Engelmann (Anmerk. d. Red. 2.Stellvertreter des Vorstandsvorsitzenden) dazu. Da wir alle auf einer Wellenlänge liegen, passt dies halt.
Wir müssen jetzt nicht – wie soll ich sagen – mit Gewalt etwas durchsetzen. Sondern wir versuchen, einerseits ein bisschen nach links und rechts zu schauen und andererseits immer die richtigen Leute zu akquirieren. Die Kontinuität der handelnden Personen, aber auch die Stabilität in der Mannschaft ist wahrscheinlich das Erfolgsrezept. Wir haben viele Mädels, die relativ lange dabei sind und wir haben es immer geschafft, nur punktuell austauschen zu müssen.
Jetzt zu sagen, es war alles harmonisch, das ist auch Quatsch. Aber wenn wir uns gefetzt haben, dann haben wir das intern gemacht und nicht nach außen getragen. Wichtig ist, mit einer Sprache zu sprechen.

Schmidts Engagement beim HVC ist aus einer Bierlaune heraus entstanden, die ihn Jahre später wieder einholte – wiederrum auf einem Bierdeckel. „Meine Frau hat Handball gespielt und ich saß zu DDR- und Regionalligazeiten auf der Tribüne, um mir die Spiele anzuschauen“, erzählt er. Ende der 90-iger Jahre wurde er auf einer Weihnachtsfeier der Damenmannschaft gefragt, ob er nicht Lust hätte, ehrenamtlich etwas im Verein zu übernehmen. „Weil unser Sohn Leistungsschwimmer war und ich ihn begleitete, habe ich abgesagt. Mit der Ergänzung, dass sie mich 2003 wieder fragen können.“ Diese Antwort schrieb er auf einen Bierdeckel. „Dieser wurde mir 2004 von der damaligen Präsidentin Kathrin Neumeier wieder auf den Tisch gelegt“, sagt der Geschäftsführer einer mittelständischen Aufzugsfirma lachend.

Aber der sportliche Erfolg muss ja trotzdem stimmen, sonst kommt Unruhe rein.
Das ist richtig. Aber wir versuchen, diesen auch nachhaltig voranzutreiben. Beispielsweise sukzessiv die Kinder- und Jugendarbeit aufzubauen, um den eigenen Nachwuchs in die Damenmannschaften einzubinden. Dann haben wir aber auch geschaut, welcher potenzielle Neuzugang von außen bei uns reinpassen könnte. Da haben wir uns eher im näheren Umfeld umgesehen. Vor neun Jahren haben wir die ersten zwei Spielerinnen aus Schneeberg verpflichtet. 2010 haben wir uns dann mit Catrin Grützmann und Anja Noack schon etwas weiter gewagt, nach Dresden und Görlitz. 2011 sind wir mit beiden in die Mitteldeutsche Oberliga aufgestiegen. So haben wir uns Jahr für Jahr, Stück für Stück entwickelt. Dann haben wir uns auch gesagt, Handball ist das eine, wir müssen aber auch zusehen, dass wir das Umfeld daran teilhaben lassen. Wir haben dann in den Jahren 2010 bis 2012 gemeinsam mit Sponsoren relativ viel Geld in die Hand genommen, um Werbung für unseren Verein zu machen. Das zahlt sich jetzt aus.

Sportlich seid ihr zwar auf einem Abstiegsrang, aber in der Gunst der Zuschauer liegt ihr auf dem ersten Platz aller 48 Drittligateams. Macht das stolz?
Auf alle Fälle! Das macht einen schon stolz. Gerade jetzt durch das Spiel gegen den
HC Leipzig, als über 500 Zuschauer in der Halle waren. Das ist schon Wahnsinn. Das Verrückte ist, du bist ja damit gewachsen, aber dadurch musst du dich manchmal selber kneifen. Ich glaube auch, dass die ganze Mannschaft stolz ist und gerne hier spielt. Das merkt man auch.

Liebäugelt ihr manchmal, eure Heimspiele in eine Sporthalle in Innenstadtnähe auszutragen?
Die Sachsenhalle ist unsere Heimhalle. Ich glaube, bevor wir daran denken, irgendwo anders hinzugehen, müssten wir stabil 500 Zuschauer haben. In die Halle passen 650 Leute und gerade die Nähe des Publikums zum Spielfeld und die Unterstützung sind genau richtig. Außerdem wurde die Sachsenhalle für unseren Aufstieg verbessert. Da muss ich insbesondere der Stadt Dankeschön sagen. Wir hatten ja das Problem, dass die Abstandsflächen zwischen Zuschauern und Spielfeld nicht gestimmt haben. Das wurde überarbeitet und umgesetzt.

Bist du eigentlich enttäuscht, dass der Handball in der Stadt mittlerweile eine untergeordnete Rolle spielt?
Auf der einen Seite denke ich eher, dass wir als HVC den Handball etwas aus dem Dornröschenschlaf geweckt haben. Auf der anderen Seite, passiert in viel zu wenigen Vereinen im Kinder- und Jugendbereich etwas. Und wenn etwas passiert, arbeitet man nicht unbedingt zusammen. Wir haben es über die Jahre nicht geschafft, uns generell im Handball breiter aufzustellen, um am Ende zu sagen, wir haben dem Basketball in der Stadt etwas entgegenzusetzen.

Wird sich das wieder verbessern?
Wir haben gerade im Minibereich einen relativ guten Lauf. Da haben wir 25 Kinder. Wir hoffen, dass wir die gut durchbringen. Mit unserer B-Jugend stehen wir derzeit auf Platz 3 in der Sachsenliga. Hier haben wir richtig gute Talente dabei, wo wir davon ausgehen, diese in ein bis drei Jahren auch in Liga 3 zu sehen. Insgesamt ist unsere Mitgliederzahl konstant bei ca. 150, davon die Hälfte Kinder und Jugendliche. Um uns in Zukunft aber weiter zu entwickeln, müssen wir alle etwas umdenken. Handball ist eine anspruchsvolle technische Sportart, da reicht es nicht, nur einmal in der Woche zu trainieren. Wir packen unsere Kinder alle viel zu sehr in Watte. Entscheidungen der Trainer werden oft kritisiert, man macht es denen damit nicht gerade leicht. Handball ist eine Mannschaftssportart, da kommt es nicht nur auf den einzelnen an. Auch derjenige, der auf der Bank sitzt, gehört zur Mannschaft und wird garantiert auch seine Einsatzzeiten bekommen. Wir sollten alle unser Ego etwas in den Hintergrund stellen. Dann bin ich optimistisch, dass es auch mit dem Handball weiter nach vorn geht.


Gibt es eigentlich ein Ziel, das ihr mit dem Verein erreichen wollt in den nächsten Jahren?
Wir wollen die 3. Liga stabilisieren. Das ist das Hauptziel. Ein weiteres Ziel ist, die Kinder- und Jugendarbeit beständig zu machen. Wir wollen eigentlich in allen Altersklassen Sachsenliga spielen. Alle Altersklassen heißt D-, C-, B-Jugend. Zurzeit spielen wir nur mit der B in der Sachsenliga.

Abschlussfrage – fernab vom Sport – Chemnitz möchte 2025 Europäische Kulturhauptstadt werden. Was hältst du davon?
Egal, welche Projekte man angeht, es ist immer wichtig, sich nach außen zu präsentieren. Ich habe viele Jahre in Leipzig gearbeitet, da musst du als Chemnitzer stark sein. Ich sage, schaut euch doch mal die Stadt an. Es gibt vielleicht nicht so eine Innenstadt wie in Leipzig und nicht so eine Altstadt wie in Dresden. Aber auch Chemnitz hat schöne, interessante Ecken. Auch wenn man die Museumslandschaft betrachtet, da hat Chemnitz schon etwas zu bieten.
Chemnitz steht immer im Schatten anderer Städte. Ich sehe das nicht negativ. Ich denke, das kann die Stadt nur nach vorn bringen. Ich habe immer das Gefühl, wir sind im Dornröschenschlaf und werden von außen noch gar nicht wahrgenommen. Dabei hat es die Stadt schon verdient. Ich lebe gern hier.

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