Sport lässt alles andere egal werden
Maximilian Schuler
Macher der Woche vom 15. März 2019
Ob Rugby, Ju-Jutsu, Angeln, Boxen oder Frisbee: die Universitätssportgemeinschaft Chemnitz e.V. ist mit ihren 28 Abteilungen und Sportgruppen und fast 2000 Mitgliedern der größte Sportverein in Chemnitz. Maximilian Schuler leitet seit zweieinhalb Jahren den facettenreichen Sportverein und nahm vor wenigen Tagen den mit 15.000 Euro dotierten Preis für das Projekt „Get in Touch“ entgegen. Was es mit dem Projekt auf sich hat und warum sogar Unterstützung aus Indien kam, erzählt er im Interview.
Wie entstand die Idee zu dem Projekt „Get in Touch“?
Maximilian Schuler: Um ehrlich zu sein, war das ganze ziemlich mit der heißen Nadel gestrickt. Im November 2018 rief mich ein Kollege an, der Vater von einem Rugby-Spieler ist und er berichtete mir von der Ausschreibung der Initiative „Chemnitz ist weder grau noch braun“. Wir haben dann überlegt: Wir haben doch allerlei Abteilungen mit Personen aus den verschiedensten Nationen und Hintergründen. Das könnte gut passen.
Da wir zu dem Zeitpunkt gerade dabei waren, Kurse in Sportarten wie Frisbee, Cricket und Rugby an Schulen aufzubauen, dachten wir, die Teilnahme an der Ausschreibung wäre gut für die Verbreitung der Sportarten. Also haben wir die Idee ausformuliert, um schließlich bei der Ausschreibung teilzunehmen. Dass es dann so gut gepasst hat, liegt unter anderem daran, dass unsere Sportarten durch viele internationale Personen getragen werden. So stehen wir quasi automatisch für Toleranz.
Die Initiative „Chemnitz ist weder grau noch braun“ setzt sich für eine demokratiefördernde Landschaft in der Stadt ein. Aus verschiedenen Aktionen kam ein Topf voll Geld zusammen, der durch einen Wettbewerb auf mehrere toleranzfördernde Projekte verteilt wurde. Die Akteure der Initiative trafen eine Vorauswahl und einer der Gewinner wurde durch ein Online-Voting via Facebook gekürt. Neben der USG Chemnitz e. V. erhielten die Initiativen Berufliche Integration und der Verein Begehungen 15.000 Euro. Neun weitere engagierte Gruppen erhielten Auszeichnungen, die mit 1000 Euro dotiert waren.
Wie haben Sie den Wettbewerb miterlebt?
Nachdem wir die Bewerbung abgeschickt haben, habe ich, ehrlich gesagt, das Ganze nicht sehr aktiv verfolgt. Nach dem Jahreswechsel kam dann die Neuigkeit, dass wir es in die nächste Runde geschafft haben. Da waren wir bereits total überrascht und glücklich über die Prämie für den Einzug in die nächste Runde.
Da es beim Online-Voting um die meisten Stimmen ging, haben wir unsere Kräfte gebündelt und versucht, alle Abteilungen, die Eltern der Sportler, Freunde sowie Bekannte zu mobilisieren. Unser Cricket-Abteilungsleiter Deep Prakash hat sogar seine Familie in Indien dazu gebracht, für uns zu voten. Schließlich haben wir den Publikumspreis gewonnen. Das macht uns sehr stolz.
Welches Ziel verfolgen Sie mit dem Projekt?
Es ist natürlich toll, dass wir das Geld bekommen haben, aber vordergründig geht es uns darum, dass Schüler durch den Sport unsichtbare Grenzen abbauen. Wenn etwa ein paar dunkelhäutige Sportler von uns vor einer Klasse stehen und dann noch einen Sport vorstellen, den keiner der Schüler kennt, wirkt das erst mal sehr anders, aber hoffentlich auch interessant. Irgendwann merken die Kinder, das sind ja ganz normale Kerle und es macht sogar noch Spaß, was die uns gezeigt haben. Idealerweise denken die Kinder ab einem gewissen Punkt gar nicht mehr darüber nach, sondern haben einfach Spaß am neuen Sport. Auf diese Weise Toleranz in die Mitte der Gesellschaft zu tragen, ist uns sehr wichtig.
Letzten Endes geht es auch darum, ein anderes Bild von Chemnitz in die Welt zu senden. Es war uns ein Anliegen daran beteiligt zu sein, dass Chemnitz anders wahrgenommen wird, als so, wie die Medien es Ende August letzten Jahres vermittelten. Wir wollen uns für Solidarität und Toleranz stark machen und das Stadtbild positiv besetzen.
Welche Schulen sind an dem Projekt beteiligt?
Wir haben bisher in vier Schulen Sportkurse für Rugby, Cricket und Frisbee durchgeführt. Dazu gehören die Grundschule Schönau, die Grundschule Rosa-Luxemburg, das Kepler-Gymnasium und die Montessori-Schule.
Mit dem Preis ist ein Gewinn von 15.000 Euro ausgelobt worden. Was für Ideen haben Sie mit dem Geld?
Zum einen wollen wir natürlich das Projekt „Get in Touch“ vorantreiben und zusätzliches Material für die Schülerkurse besorgen, zum Beispiel komplette Sets für Cricket oder körperloses Rugby. Durch das Preisgeld können wir den Einsatz der Übungsleiter auch mit einem kleinen Obolus vergelten. Zum anderen wollen wir den Sportarten Cricket und Rugby ein adäquates eigenes Spielfeld ermöglichen. Insbesondere die Cricketspieler müssen derzeit für Heimspiele immer bis nach Potsdam fahren, um dort Spiele unter Bundesliga-Bedingungen austragen zu können. Zum Trainieren nutzt die Cricket-Abteilung zurzeit ein provisorisches Feld. Daher können wir den Gewinn auch dazu nutzen, den Ausbau des Feldes mitzufinanzieren. Wir sind mit dem Sportamt in Kontakt, um einen Platz umzustrukturieren, damit der Sport hier endlich ein adäquates Heim hat. Da schließt sich dann auch der Kreis zur Initiative. Unsere Bemühungen um einen vorzeigbaren und ligakonformen Platz für Cricket und Rugby als nächsten Schritt haben wir "Stay in touch" getauft. Wenn wir genügend Schüler mit dem Projekt für den Sport begeistern können, können sie tatsächlich auf einem Feld hier in unserer Stadt spielen. Der Platz und die verbesserten Trainingsbedingungen sollen das Interesse, das unsere Schulprojekte wecken, aufrechterhalten.
Wie kommen die Nischensportarten wie Frisbee, Cricket oder Rugby generell an?
Die meisten Schüler oder auch Lehrer haben davon noch nicht viel gehört. Aber diese drei Sportarten sind dafür prädestiniert, andere Kulturen zu vermitteln, eben weil sie in anderen Ländern Sportart Nummer eins sind wie hierzulande der Fußball. Außerdem haben sich diese Sportarten in ihren Weltverbänden Werten wie Toleranz und Integrität verschrieben. Das macht es uns umso leichter, die Aktiven leben das auch. Beim Sport spielt es keine Rolle, wie jemand aussieht oder woher er kommt. Da wird zusammengehalten und fertig. Wenn das vorgelebt wird, wird es auch eine Selbstverständlichkeit.
Jugendliche faszinieren sich ja oft für Sportarten, die sie mit Idolen aus den Medien verbinden. Wie verhält sich das bei Sportarten wie Cricket?
Cricket ist ein sehr komplexer und faszinierender Sport, in dem unser Team auch schon große Erfolge erzielen konnte, die aber leider niemand wahrnimmt, weil eben kein berühmter Mensch dort mitspielt oder es Übertragungen im Fernsehen gibt. Eine breitere Öffentlichkeit für die Sportarten zu erreichen, ist sehr wichtig, um auch mehr Jugendarbeit leisten zu können.
Das Rugby-Team hat die letzte Saison auf dem zweiten Tabellenplatz beendet und war ein Jahr zuvor erst aufgestiegen. Die Frauen in der Frisbee-Mannschaft spielen seit kurzem in der zweiten Liga. Bei Cricket sind wir im dritten Jahr in der ersten Bundesliga. Das weiß in Chemnitz kaum einer. Das ist aber großer Sport, der dort geleistet wird.
Auf welche Art und Weise vermittelt der Sport andere Kulturen?
Cricket ist zum Beispiel der Volkssport Nummer eins in Indien und Pakistan, Rugby in Ozeanien, Irland oder Schottland. Das gehört also zu dem Leben dort dazu, es ist deren Sportkultur. Und wenn ein indischer, brasilianischer oder georgischer Spieler seine Sportart Kindern an deutschen Schulen beibringt, ist das auch ein wertvoller persönlicher Austausch und trägt zum Kennenlernen bei.
Was schafft der Sport an Integration, was die Schule oder die Familie nicht schafft?
Wenn man beim Sport ist, konzentriert man sich auf das, was man macht. Es geht nicht darum, wer neben einem steht, gegen wen man spielt, wie der aussieht, wo der herkommt oder was der gesagt hat. Insbesondere beim Mannschaftssport geht es um ein gemeinsames Ziel, man zieht an einem Strang und alles andere ist in dem Moment egal. Beim Sport weichen Grenzen, die es sonst im Alltag gibt, auf. Die Universität bemüht sich redlich um Integration, das ist aber eher kognitiv, was dort geschieht. Sport macht man oft mehr aus dem Bauch heraus, intuitiv. Nach einem Spiel klatscht man sich ab und hat automatisch mit Menschen zu tun, die man sonst außerhalb seiner sozialen Gruppen nie kennenlernen würde. Mein Traum ist es, dass die Projekte so funktionieren, dass ein Alex, ein Oleg, ein Christian und ein Youssef zusammen Sport machen und es vollkommen egal ist, wo wer herkommt oder wie wer aussieht. Sport lässt alles andere egal werden.
Chemnitz bewirbt sich als Europäische Kulturhauptstadt 2025. Was wünschen Sie sich für die Stadt und Ihren Verein bis dahin?
Für die Stadt wünsche ich mir, dass so friedliche Grundstimmung und Zusammenhalt, wie sie zu dem Wir-sind-mehr-Konzert herrschten, öfter zu spüren sind. Die Widerstände gegen und Ängste vor Veränderung müssen abgebaut werden. Es ist ein Horror, dass meine Geschwister, die nicht in Chemnitz wohnen, mich fragen, was denn bei uns los ist. Das Bild von Chemnitz muss sich ändern. Ich wünsche mir, dass die Stadt bis 2025 ein besseres Image bekommt. Die Werte, die in Chemnitz gelebt werden und die Lebensqualität verdienen mehr Aufmerksamkeit.
Für den Verein wünsche ich mir ein Vereinsheim. Es wäre ideal, wenn wir einen eigenen Stammsitz hätten, der auch als Begegnungsstätte für sämtliche Sportarten und Generationen im Verein dient.