Eine Dame wird 150

Curt Bertram

Macher der Woche vom 31. Mai 2019

Mit 444 geschenkten Büchern nahm die Stadtbibliothek Chemnitz vor 150 Jahren ihre Arbeit als Bildungseinrichtung auf. Mittlerweile leihen 25.000 Kunden über 280.000 Bücher, Hörspiele, Filme und Spiele aus. Dass die Stadtbibliothek ein fester Bestandteil in der Chemnitzer Kulturlandschaft ist, hat sie unter anderem dem Förderer der Stadtbibliothek Chemnitz e.V. zu verdanken. Seit mehr als einem Vierteljahrhundert engagiert sich der Verein für die Belange der Stadtbibliothek und setzt sich mit Eifer für das Buch und sein Überleben ein. Curt Bertram ist seit einem Jahrzehnt der Vorsitzende des Vereins. 


Welche Aufgaben übernimmt der Förderverein der Stadtbibliothek genau?
Curt Bertram:
Er fördert und unterstützt die Stadtbibliothek in all ihren Bereichen, engagiert sich in Projekten und organisiert Veranstaltungen. Wir kontaktieren – wenn nötig – die politischen Mandatsträger im Stadtrat, sprechen mit der Amtsleitung des Kulturbetriebes und stimmen uns mit den Fördervereinen der im Tietz ansässigen Einrichtungen ab. Bei Sparzwängen wird bei der öffentlichen Bibliothek als freie Leistung der Kommune der Rotstift angesetzt. Hier erheben wir unsere Stimme gegenüber Verwaltung und Politik für eine solide Basisfinanzierung, die sicherstellen soll, dass die Stadtbibliothek ihren kulturellen und bildungspolitischen Auftrag erfüllen kann.

Der Verleger Wolfgang Weidlich gründete 1992 mit sieben Mitschülern aus Chemnitz den Förderverein der Stadtbibliothek. Vier Jahre später wurde der Verein ins Chemnitzer Vereinsregister umgeschrieben. Seitdem setzt sich der Förderverein in Zeiten von Konsolidierungen gegen Kürzungen im Haushaltsetat ein, initiiert Lesungen mit Autoren wie Christa Wolf oder Heinz-Rudolf Kunze und organisiert verschiedene Programme oder Projekte.

Eines Ihrer Projekte sind die Buchpaten. Was machen Sie in diesem Projekt?
Seit 1994 kümmert sich der Verein auch um die historischen Buchbestände, dazu gehören die Inkunabeln [Anmerk. der Red.: Als Inkunabeln oder Wiegendrucke werden die gedruckten Bücher zwischen den Jahren 1454 und 1500 bezeichnet.] Der Förderverein versucht, diese historisch wertvollen Relikte restaurieren zu lassen. Daher gibt es das Projekt „Buchpaten gesucht“. Wir wollen zum einen Aufmerksamkeit für diese wertvollen Zeugnisse der Vergangenheit gewinnen, aber zum anderen auch Spenden einwerben, um die historischen Bestände erhalten zu können. Bis heute haben wir schon über 150 Kostbarkeiten restaurieren lassen.
Ob Aurelius Augustinus‘ „Epistolae“ von 1493, Richard Wagners Brief „Queisser“  von 1875 oder die Festschrift zum 100. Jubiläum von Richard Hartmann von 1937: Die über 150 Schriften hat der Förderverein der Stadtbibliothek mit dem Programm „Buchpaten gesucht“ bereits restaurieren und somit vor dem Zerfall retten können.

Wie teuer ist die Restaurierung einer Inkunabel und wo kann man sie sehen?
Das hängt natürlich vom Buch ab. Das beginnt bei 100 Euro und geht bis zu 1500 Euro. Das ist sehr unterschiedlich. Die Bibliothek bietet zweimal im Jahr Magazinführungen an, bei denen man diese historischen Bücher sehen kann. Im Rahmen des Jubiläums ist am 6. Juli die Eröffnung einer Ausstellung historischer Schriften unter dem Titel „Agricolas Bücher“.

Neben den Buchpaten gibt es noch Projekte für Kinder. Wie ist die dort die Resonanz?
Bei dem Projekt „Auf leisen Sohlen“ lesen unsere Lesepaten in Einrichtungen der Stadtbibliothek oder Kindergärten jährlich vor ca. 1500 begeisterten Kindern vor. Es gibt außerdem den „Buchsommer“. Unser Verein kauft dafür aktuelle Bücher. Die Teilnehmer – Schülerinnen und Schüler – müssen mindestens drei davon über die Sommerferien lesen. Danach werden sie von Stadtbibliotheksmitarbeitern geprüft, ob sie das Buch wirklich gelesen haben. Wenn sie den Test bestehen, gibt es eine Urkunde bei der Abschlussparty überreicht. Die meisten Schulen erkennen diese Urkunde als Note für den Deutschunterricht an.

Inwieweit beeinflusst die Digitalisierung die Bedeutung des (Vor-)Lesens?
Die Beteiligung an unseren Projekten für Kinder ist ungebrochen groß. Dass über 450 Jugendliche jährlich am Buchsommer teilnehmen, zeigt, dass Interesse da ist. Das Lesen ist zudem eine zeitlose Grundkompetenz. Ich kann auch nicht digital unterwegs sein, wenn ich nicht lesen kann. Das Lesen bringt die Menschen zueinander und fördert die Teilhabe am Gemeinschaftsleben. Daher sind wir auch viel in Senioreneinrichtungen und Begegnungsstätten unterwegs, um das gemeinsame Lesen zu stärken. Dafür stehen wir ein. Das Projekt „Lesen gegen Gewalt“ fördert zum Beispiel auch das Diskutieren miteinander. Damit vermitteln wir grundlegende Werte besonders im Zusammenhang mit Flucht und Migration. „Bücher werden mobil“ ist wiederum ein Projekt, bei dem wir Bibliothekskunden, die immobil sind, mit Büchern versorgen. Das Lesen wird also eigentlich zunehmend wichtiger, um durch die Digitalisierung nicht den Bezug zum gesellschaftlichen Zusammenleben zu verlieren.

Die Stadtbibliothek widmet sich verstärkt der veränderten Mediennutzung. Neben Hörbüchern, Computerspielen und E-Books finden Bibliothekseinführungen für Schüler der 5. und 6. Klasse mittels Tablet statt. Eine der neuesten Angebote im digitalen Bereich ist der hauseigene Streamingdienst „filmfriend“. Bibliotheksbenutzer können aus über 2100 Spielfilmen, Dokumentationen und Serien auswählen und diese bequem zu Hause anschauen.

Was wünschen Sie sich für die nächsten 150 Jahre für die Stadtbibliothek?
Die Digitalisierung ist bereits vor Jahren in der Stadtbibliothek angekommen. Dieser  gesellschaftlichen Entwicklung muss sie sich auch in Zukunft stellen. Viele haben schon damals gesagt, dass wegen des Digitalisierungsprozesses das Buch wegfallen wird. Das ist aber nicht eingetreten. Das Buch wird immer noch rege genutzt. Viele sagen, wenn ich ein Buch auf dem Tablet lese, fehlt mir was beim Lesen. Sie vermissen das Seitenumblättern und den Geruch. Ich wünsche mir, dass die Bücher nicht verschwinden, sondern dass es immer das hohe Gut bleibt, sich Bildung mit Hilfe von Büchern anzueignen.

Welche Bedeutung hat für Sie als Mitglied des Fördervereins das 150. Jubiläum?
Wir sind stolz, eine 150-jährige Dame noch begleiten zu dürfen. Das ist für Chemnitz eine Einrichtung, die eine bemerkenswerte Tradition hat. Sie ist ein Ort und ein Hort der Kulturen. Wir haben das Festprogramm mitgestaltet. Außerdem fördern wir Veranstaltungen aus dem Hintergrund und sind Herausgeber der „Meilensteine der Stadtbibliothek 1869 – 2019“ – eine kleine Broschüre zur 150-jährigen Geschichte der Stadtbibliothek.

Das Jubiläumsprogramm umfasst verschiedene Lesungen von zum Beispiel Dominique Horwitz und Max Goldt. Außerdem gibt es spannende Vorträge zum alten und neuen (Universitäts-) Bibliotheksstandort in der alten Aktienspinnerei. Der Fotowettbewerb „Mein Universum die Bibliothek - mehr als Bücher“, initiiert vom Förderverein, präsentiert ab dem 26. Juni in einer Ausstellung im Eingangsbereich zur Stadtbibliothek die eingereichten Arbeiten mit Bezug zur Bibliothek. Das gesamte Programm findet man auf der Homepage der Stadtbibliothek: www.stadtbibliothek-chemnitz.de

Was lesen Sie aktuell?
Zurzeit lese ich Christoph Hein, Glückskind mit Vater. Außerdem lese ich auch noch Unorthodox von Deborah Feldman, angeregt durch die Tage der jüdischen Kultur.

Apropos Kultur: Chemnitz bewirbt sich als Europäische Kulturhauptstadt 2025? Was halten Sie von diesem Vorhaben?
Die Stadt muss in die Öffentlichkeit gehen, um ihre Bürger auf dem Weg zur Kulturhauptstadt zu begeistern und mitzunehmen. Der Chemnitzer ist ja eher etwas verhalten und die Bewerbung muss alle mitreißen. Man muss den Bürgern klar machen, was Kulturhauptstadt bedeutet. Kultur ist nicht nur Theater, Schauspiel oder Bibliothek, sondern geht weit darüber hinaus. Das muss man den Chemnitzern vermitteln und zeigen, wie man sich einbringen kann. Das wünsche ich mir von der Bewerbung.

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