Vom Nachbarsgarten auf den eigenen Tisch

Grit Heinig & Thomas Seidel

Macher der Woche vom 10. Juli 2020

Thomas Seidel und Grit Heinig sind die Gründer einer Plattform, die mit einfachen Mitteln gegen unnötigen Verpackungsmüll und die Verschwendung von Lebensmitteln kämpft: „Direkt vom Beet“. Über die App und die gleichnamige Webseite kann man zum Beispiel Äpfel gegen einmal Rasenmähen oder einen Bund Radieschen gegen Unkrautjäten tauschen. Aber das ist noch längst nicht alles, was mit „Direkt vom Beet“ möglich wird.


Was war zuerst da: ihr Kleingarten oder „Direkt vom Beet“?
Thomas Seidel:
 Direkt vom Beet, eindeutig. Unseren Garten haben wir erst seit dem letzten Jahr.
Grit Heinig: Vor zwei Jahren waren wir bei einer Veranstaltung in der Kulturkneipe Lokomov, auf der das Konzept „Cradle to cradle“ vorgestellt wurde. Der Gedanke dahinter ist: Wenn man Ressourcen aus der Natur nutzt, muss man diese in gleicher oder besserer Qualität wieder in die Natur zurückgeben.
Thomas Seidel: Bei der Veranstaltung ging es an dem Tag auch um Verpackungsmüllvermeidung und es gab heftige Diskussionen, weil wir zu diesem Zeitpunkt speziell Tomaten oft im Supermarkt gekauft haben. Man konnte sich damals gegen den ganzen Verpackungsmüll ja gar nicht wirklich wehren. Dann hat uns dort eine Freundin auch noch erzählt, dass ihr Opa in seinem Garten immer wahnsinnig viele Tomaten anpflanzt und sie eigentlich gar nicht mehr ernten kann und dass sie deswegen viel wegschmeißen müssen. Das war der Auslöser für „Direkt vom Beet“. Diese zwei Zielgruppen musste man einfach zusammenbringen: Die einen, die gerne Obst und Gemüse essen, es aber teuer kaufen müssen, und diejenigen, die so viel davon in ihren Gärten haben, dass sie es alleine nicht verbrauchen können.

Wie haben Sie Ihre Idee umgesetzt?
Thomas Seidel:
 Ich habe zuerst recherchiert, wie viele Kleingärten und wie viele Grundstücke es in ganz Deutschland gibt. Beim Statistischen Bundesamt habe ich ca. 20 Millionen Privatgrundstücke und Kleingärten zusammengezählt. Ich habe mir gedacht, wenn auf jedem ein Apfelbaum stünde und jeweils 5 Kilogramm weitergegeben werden, dann hat man 100 Millionen Kilogramm Äpfel, die nicht verpackt sind und vor Ort sind und nicht aus Neuseeland oder Südafrika hertransportiert werden müssen. Dann ist Grit mit einer Freundin mit dem Rucksack losgezogen, während ich schon angefangen habe, die Internetseite zu programmieren.
Grit Heinig: Wir haben uns mit der Idee von der Webseite auf den Weg in die Kleingärten gemacht und als erstes kam immer: „So ein Kleingarten ist wie ein Wohnzimmer, da lasse ich niemanden rein.“ Als zweites kam: „Ich habe ja gar kein Internet.“ Doch das Ergebnis war innerhalb weniger Minuten immer, dass wir trotzdem in den Garten eingeladen und aufgefordert wurden, uns etwas von der Ernte mitzunehmen und „ruhig ein bisschen mehr“. Die Quintessenz war, dass die älteren Leute keine oder nur wenig Affinität zum Internet haben. Also haben wir überlegt, ob es eine analoge Alternative gibt.
Thomas Seidel: Wir haben letztes Jahr den „Anhänger von Frische“ gestaltet. In einer Partnerschaft mit dem Stadtverband Chemnitz der Kleingärtner e. V. wollten wir die Brücke zwischen dem Internet und den älteren Menschen bauen. Ich habe Anhänger drucken lassen und der Stadtverband hat sie an die 186 Gartenvorstände in Chemnitz geschickt mit der Bitte, sie auszuteilen und einen Aushang mit Informationen zu machen. Der ein oder andere Gartenverein hat mitgemacht. Mit dem Anhänger signalisiert der Gärtner, dass man ihn ansprechen kann, weil er Teile seiner Ernte abgeben würde. Und der Städter wiederum sollte dazu animiert werden, durch die Gartenanlage zu gehen. Das Ziel war, dass man diese analoge Brücke baut und die Leute zusammenbringt.

Was ist der Gedanke hinter „Direkt vom Beet“?
Thomas Seidel:
 Es darf doch nicht sein, dass zum selben Zeitpunkt – selbst in der Erntesaison – Obst und Gemüse importiert und teuer eingekauft werden muss und gleichzeitig wird im Garten durch eine Überernte Essen weggeschmissen. Dem wollen wir entgegenwirken.

Aber Obst und Gemüse ist längst nicht alles, was auf „Direkt vom Beet“ angeboten wird. Wenn im Winter nichts wächst, kann man auch Saatgut oder Pflanzen tauschen. Außerdem kann man den eigenen Garten inserieren, wenn man ihn abgeben möchte oder sich Mithelfer für eine gemeinsame Gartenbewirtschaftung suchen. Das bisher ungewöhnlichste Inserat war jedoch ein lebendiges Huhn für vier Euro.

Wie haben Sie die App erstellt?
Thomas Seidel:
 Nachdem sich die ersten Nutzer auf unserer Webseite angemeldet hatten, kam immer wieder der Wunsch auf, dass es doch viel schöner wäre, wenn es auch eine App gäbe. Dann wäre man viel schneller über neue Angebote in der Nähe informiert. Ich bin zwar Programmierer, hatte damals aber noch gar keine Ahnung, wie man Apps programmiert, weil ich damit noch nichts zu tun hatte. Dann hat mir jemand erzählt: „Ich war 14 Tage krank und habe eine App programmiert.“ Da habe ich gedacht, dann kann ich das bestimmt auch. Also habe ich über Weihnachten die „Direkt vom Beet“-App erstellt und am 3. Januar dieses Jahres ist sie online gegangen.
Grit Heinig: Thomas macht die ganze Programmierarbeit abends, nachts, am Wochenende, im Urlaub seit mehr oder weniger anderthalb Jahren. Das ist ein reines Ehrenamt.

Um sich an „Direkt vom Beet“ zu beteiligen, muss man sich nur mit einer E-Mail-Adresse und einem Passwort oder über den Facebook-Account anmelden, mehr Daten braucht es nicht. Die werbefreie App nutzen bisher über 2.400 Mitglieder, die Gemeinschaft wächst täglich weiter:

Thomas Seidel: Nach der Anmeldung hat man sofort die Möglichkeit, in den Angeboten oder den Gesuchen zu stöbern, jemandem eine Nachricht zu schreiben oder selbst ein Angebot zu schalten. Dafür muss man nur eine Überschrift und einen kurzen Text eingeben sowie Postleitzahl und Ort, dass Nutzer es auf der Karte wiederfinden können.
Es gibt auch die Möglichkeit, dass zum Beispiel ein Imker, der sich keine eigene Webseite leisten kann, herzlich eingeladen ist, seinen Honig anzubieten. Die Leute, die sich für ihr liebenswertes Hobby ein bisschen Geld dazuverdienen möchten, können hier ihre Waren zu einem Preis anbieten. Primär geht es aber weiterhin um das kostenlose Abgeben oder Selbsternten im Tausch für zum Beispiel Unkrautjäten.
Viele haben sich über die sozialen Medien gemeldet und gesagt: „Schade, dass es das nicht bei uns gibt.“ Und ich schreibe dann immer zurück: „Bei euch gibt es das, sobald der Nachbar mitmacht.“ „Direkt vom Beet“ ist zwar aus Chemnitz, aber nicht nur für Chemnitz. Es hat den größten Effekt, wenn jeder es nutzt.

Neu ist, dass sich Kleingartenvereine über die Webseite und die App ihre eigenen Profile erstellen können. Die Idee dazu kam Thomas Seidel während der Corona-Pandemie, als ihm auffiel, dass viele Internetseiten von Vereinen zu veraltet sind, um mit Mitgliedern Informationen auszutauschen. Dabei wollte er helfen. Wer sich als Verein anmeldet, kann sich sozusagen eine eigene Homepage auf der Plattform erstellen und dort Neuigkeiten austauschen.

Am 18. Juni ist „Direkt vom Beet“ ein gemeinnütziger Verein geworden, wie kam es dazu?
Thomas Seidel:
 Es geisterte mir schon lange durch den Kopf, einen Verein zu gründen, denn es gibt einige Menschen, die gern Gründungsmitglieder werden und mithelfen wollten. Jetzt sind wir neun Mitglieder und freuen uns über jeden, der mitmachen möchte. Die Vorbereitung hat etwa drei Monate gedauert. Wir haben eine Satzung erstellt und als Vereinsziele vor allem den Umweltschutz mit der Einsparung von Verpackungsmüll und der Eindämmung der Lebensmittelverschwendung festgelegt. Soziale Aspekte spielen aber natürlich auch eine Rolle und wir wollen verstärkt mit anderen Vereinen zusammenarbeiten.
Grit Heinig: Ich kann mir vorstellen, dass über „Direkt vom Beet“ auch Freundschaften oder zumindest soziale Kontakte entstehen, die dann wieder positiv für beide Seiten sind. Mein Gedanke war auch, dass wenn jemand schon jahrelang einen Garten bewirtschaftet, hat er ein unglaubliches Wissen über alles was hier wächst, was man vielleicht tut oder nicht tut für gutes Wachstum und an dem Wissen könnten andere teilhaben, während sie seinen Rasen mähen oder die Äpfel pflücken.
Thomas Seidel: Wenn man diesen einfachen Weg geht, dass sich ein Nicht-Gärtner mit einem Kleingärtner trifft – entweder durch den Anhänger oder durch die App – dann ist schon viel geschafft und der Rest passiert von alleine. Wir haben bewusst keinen Shop gemacht und bewusst keine Grenze gezogen nur für Chemnitz oder nur für Sachsen. Wir machen das deutschlandweit und über die Grenzen hinaus, es kamen sogar schon Anfragen aus der Schweiz, Österreich und Tirol im letzten Jahr.

Im Moment sind Grit Heinig und Thomas Seidel auf der Suche nach neutralen Übergabestellen im Chemnitzer Stadtgebiet, an denen die Lebensmittel hinterlegt werden können. Auf diese Weise können Kleingärtner und Interessenten aus unterschiedlichen Stadtteilen zusammenfinden und Ware übergeben, ohne Adressen austauschen zu müssen.

Was wünschen Sie sich für „Direkt vom Beet“ und für die Stadt Chemnitz in der Zukunft?
Thomas Seidel:
 Für die Chemnitzer wünsche ich mir, dass die Vorurteile zwischen Kleingärtnern und Städtern aufgebrochen werden. Deswegen habe ich „Direkt vom Beet“ gegründet und bin auch im Kleingartenbeirat, weil man das ein oder andere mit einer Entscheidung oder einem Rat an den Stadtrat bewegen kann. Für „Direkt vom Beet“ wünsche ich mir ganz viele Mitmacher. Und vielleicht Sponsoren.

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