"Sport frei!" heißt es nicht nur für Schülerinnen und Schüler

Luise & Paul Ogorsolka

Macher der Woche vom 5. März 2021

Dass Sport einer der vielen Lebensbereiche ist, die durch die Pandemie besonders eingeschränkt sind, schmerzt Luise und Paul Ogorsolka. Als Sportlehrer an zwei Chemnitzer Grundschulen wollen sie dem Bewegungsmangel, den nicht nur die Schülerinnen und Schüler, sondern die meisten Menschen diesen Winter erlebt haben, etwas entgegensetzen. Das Ergebnis findet man auf ihrem YouTube-Kanal "Dein Sportlehrer". Das verheiratete Paar hat dafür Trainingsvideos aus dem Schulsport und vielen anderen Disziplinen produziert.


Was hat euch dazu bewegt, Sportunterricht im Internet anzubieten?
Paul:
Wir haben die Videos erstellt, damit unsere Schüler während des Lockdowns zuhause Sport machen konnten. Die Grundidee war, dass sie sozusagen mit uns Sport treiben. Mit der Zeit haben sich die Videos so verbreitet und waren so beliebt, dass auch andere es gern ausprobieren wollten. Und da haben wir gedacht: „Warum nicht?“, und haben den Kanal deutschlandweit über Twitter und Instagram anderen Lehrern zur Verfügung gestellt, damit auch Kinder von anderen Schulen davon profitieren können.

Gab es vor euch schon kindgerechte Trainingsvideos auf YouTube?
Luise:
Die einen Kinder-Sportangebote sind fast zu kindlich für den Grundschulbereich und die Trainingsvideos von manchen erfolgreichen YouTubern sind für Kinder zu freizügig. Es existieren schon viele Sportvideos im Internet bzw. bei YouTube, das richtet sich aber oft an jüngere Kinder aus dem Kindergartenbereich, aber die Grundschüler sind viel „erwachsener“ und wollen auch so behandelt werden. Daran haben wir uns orientiert.
Paul: Wir wollten mit unseren Videos dem Sportunterricht in der Schule so nah wie möglich kommen. Wir haben geschaut, dass es eine intensive Bewegungszeit in unseren Videos gibt: Dass wir von zehn Minuten nicht fünf reden, drei Minuten Sport gemacht werden und zwei Minuten Abspann sind, sondern dass die zehn Minuten wirklich Trainingszeit sind. Uns war wichtig, dass die Videos kurz und knackig, anstrengend und trotzdem für die Kinder leicht erklärt sind – einfach anfängergerecht. Deswegen haben auch viele Eltern das Training mitgemacht. Gerade jetzt in der Zeit, in der viele zuhause im Homeoffice oder beim Homeschooling saßen, sollten die Videos etwas zeigen, das man zuhause leicht nachmachen kann und das einem guttut.

Eure Videos waren also ursprünglich für Grundschüler gedacht, aber inzwischen macht die ganze Familie mit?
Luise:
Ja, wir haben viel Feedback bekommen. Selbst die Sekretärin bei uns an der Schule macht mein Beinprogramm zum Beispiel mit. Es spricht auch Erwachsene an. Wir haben Filme und Fotos von unseren Schülern geschickt oder gezeigt bekommen, wo zu sehen ist, wie sie vor dem Fernseher oder einem anderen Medium mit ihren Eltern oder ihren Geschwistern zusammen Sport treiben. Das finde ich sehr schön, weil es eine effektive Familienzeit ist, in der man etwas gemeinsam macht.
Paul: Unser Partner-Workout zum Beispiel war beim Dreh schon recht lustig, da mussten wir manche Situationen mehrfach aufnehmen, weil wir uns kaputtgelacht haben. Ich denke, damit hatten auch viele zuhause Spaß. Das kann auch der Papa mit seinem 8-jährigen Sohn oder seiner Tochter zusammen machen.
Luise: Die Videos sollten für die Kinder auch kurzweilig sein, damit es ihnen Spaß macht und man es auch schnell mal einfügen kann. Oftmals sind die Videos, die existieren, 20-30 Minuten lang, aber die Zeit hat man während des Homeschoolings nicht. Und so können die Kinder in ihrer Pause fünf bis zehn Minuten lang Sport machen.

Vom Training vor der Kamera bis zum fertigen Video auf YouTube dauert es etwa fünf Stunden. "Beim Filmen sind wir mit der Zeit schneller geworden, aber Einsprechen und Schneiden dauert noch lange", verrät Paul Ogorsolka. Die DPFA Regenbogen-Grundschule, an der er unterrichtet, hat für das Projekt ihre Turnhalle zur Verfügung gestellt und ein Stativ, sodass Luise und Paul Ogorsolka nur ihre eigenen Smartphones zum Filmen brauchen. Über 400 Abonnenten erreichen sie so mit jedem Video, über 21.000 Mal wurden ihre Trainingseinheiten bereits angeschaut.

Warum heißt euer Kanal „Dein Sportlehrer“ und nicht zum Beispiel „Deine Sportlehrer“? War es anders geplant?
Paul:
Wir hatten ja gehofft, dass es noch mehr „explodiert“ – dass noch andere Sportlehrer außer uns beiden sich dem Kanal anschließen und eigene Videos dafür produzieren. Aber bisher war das leider nicht so und dann haben wir den Namen einfach so gelassen. Wir hatten geplant, dass es vielleicht einmal ganz viele Sportlehrer sind, die sich beteiligen.

Ihr bietet Trainingseinheiten nicht nur aus dem „klassischen“ Schulsport an, sondern auch aus den verschiedensten anderen Disziplinen, zum Beispiel Yoga – wieso habt ihr euch dafür entschieden?
Luise:
Weil ich sehr gern selbst Yoga mache und den Kindern den Zugang zu diesem Sport ermöglichen wollte. Dass sie merken, dass Yoga eine ganz coole Sache ist und sie sich vielleicht mit ihren Müttern oder Vätern zusammen mobilisieren. Es ist eine schöne Ergänzung zu dem, was wir anbieten.
Paul: Mit Dehnung stößt man bei Schülerinnen und Schülern nicht gerade auf Begeisterung. Mit Yoga ist das anders, dann kennen sie einige Figuren wie den "Baum" oder den "Kosmischen Tänzer". Es ist bildlicher und wirkt für die Kinder schöner als zum Beispiel Wadendehnungsübungen. Wir sehen auch, dass die Kinder verkürzt sind und durch Yoga können sie wieder beweglicher werden.
Luise: …und auch kräftiger. Yoga ist ja nicht nur Dehnung, sondern auch Mobilisation und Kräftigung, aber auf eine seichte Art. Manche Kinder wollen ja nicht dieses „Durchpowern“, manche fühlen sich einfach im Yoga aufgehobener.

Wann ist ein guter Zeitpunkt für eure Trainingsvideos?
Luise:
Während der Pausen. Bei unserer Tochter sehen wir zum Beispiel, dass sie immer mal eine Viertelstunde Pause hat und dafür schreiben wir ihr dann auf, welche Übungen sie in der Zeit machen kann. Und nachmittags können die Kinder ab und zu mit den Eltern zusammen trainieren.

Wie stellt ihr die Trainingseinheiten zusammen?
Paul:
Wir haben uns daran orientiert, was im Januar im Lehrplan drangekommen wäre: Krafttraining, Seilspringen und so weiter. Erst haben wir Ganzkörper-Übungen aufgenommen und dann haben wir es aufgesplittet. Dann hat ein Trainer zu uns gesagt: „Macht doch mal ein Video zu Koordination“, also haben wir das gemacht.
Luise: Es ist aufwendig, aber es macht Spaß. Mit den Aerobic-Videos wollten wir den Lehrern ein stückweit helfen, dass sie sich die Schritte noch einmal anschauen können. Oder man kann auch den Schülern sagen, dass sie sich das Video zu Hause anschauen und die Choreografie üben sollen. Dann können sie sich eine Schrittfolge zusammenstellen und der Lehrer bewertet es dann.

Wie lange wollt ihr den Kanal weiterführen?
Luise:
Beenden wollen wir es eigentlich nicht. Ich denke, immer mal kommt uns etwas in den Sinn, das wir gerne noch machen möchten. Was mir noch am Herzen liegt, wäre Leichtathletik. Dass wir die einzelnen Lernbereiche aufgreifen.
Paul: Vielleicht können wir auch einmal draußen ein paar Beispiele für Sport im Freien drehen. Bisher haben wir teilweise zwei bis drei Videos pro Woche produziert, das schaffen wir jetzt aber nicht mehr, weil wir an der Schule wieder voll eingesetzt sind. Aber vielleicht können wir ein Video in der Woche erstellen.

Was empfehlt ihr Sportmuffeln und Menschen, die lange keinen Sport gemacht haben, zum Einstieg?
Luise:
Sich nicht zu viel vornehmen und das machen, was einem wirklich Freude bereitet. Und sich nicht zu hohe Ziele zu setzen. Wer noch keinen Sport macht, muss keine 15 Minuten Ausdauertraining schaffen. Man sollte sich einfach moderat bewegen und hinausgehen. Uns ist es wichtig, dass Kinder ihre Bewegungswelt erkunden können und dass sie draußen spielen. Da ist Sport auch wichtig, aber ich glaube, wenn die Kinder den ganzen Nachmittag draußen unterwegs sind, erreicht man damit auch schon viel.
Paul: Man darf es am Anfang nicht übertreiben. Es ist ja bei den Erwachsenen meistens so, dass sie am Anfang des neuen Jahres gleich eine halbe Stunde joggen gehen, waren vielleicht noch nie rennen, dann tut eine Woche lang alles weh und sie haben keine Lust mehr.
Luise: Vielleicht auch mit Freunden oder mit der Familie zusammen und vor allem regelmäßig trainieren. Dass man dienstags nachmittags immer eine Runde Fahrrad fährt oder eine Runde Fußball spielt. Dass man sich diesen Termin festsetzt, das würde ich auf jeden Fall empfehlen. Und vielleicht auch schaut, welche Vereine es hier in Chemnitz gibt. Ein Verein federt viel ab. Mir ist die Vereinsarbeit enorm wichtig und dass es auch in den Köpfen ankommt, dass die Vereine für die Kinder ein Auffangort sind. Es ist so wichtig, dass die Kinder dort verankert werden und am Ende ist es ein Grundstein dafür, dass sie ein Leben lang Sport treiben können. Außerdem entstehen so tolle Freundschaften.

Ist Chemnitz breit aufgestellt was den Vereinssport betrifft?
Luise:
Ja, aber die Mitgliedszahlen gehen leider zurück, vor allem wegen Corona. Viele können sich den Vereinsbeitrag jetzt nicht mehr leisten oder fragen sich, wieso sie ihn jetzt zahlen sollen, wenn sie „nur“ online trainieren können.

Welche Sorgen bereitet es euch, dass der Sportunterricht und der Vereinssport teilweise komplett ausgefallen ist und man auch noch nicht sagen kann, wann es wieder losgehen kann?
Luise:
Was mich am meisten an der ganzen Situation stört, ist, dass der Vereinssport so eingeschlafen ist, dass man wirklich gar nichts mehr gemeinsam im Verein machen kann. Die Kinder fahren außerdem nicht mehr mit dem Fahrrad zur Schule oder laufen hin, sie sind nur noch zuhause und am Ende eines Schultages ist der Bewegungsradius minimal. Das ist eine riesige Katastrophe. Die Kinder sitzen die meiste Zeit. Aber ich denke, die Stimmung kippt jetzt wieder. Ich glaube, die Kinder wollen sich einfach bewegen, wollen untereinander sein, sie wollen miteinander agieren, gemeinsam verlieren und siegen.
Die Kinder, die jetzt wieder in der Schule sind, sind unbeweglicher. Da machen acht Wochen sehr viel aus, das ist erschreckend. Und dann fragt man sich natürlich, wie es weitergehen soll. Viele finden vielleicht den Anschluss an den Verein nicht wieder bzw. hören komplett auf. Da muss unbedingt reagiert werden und an einer Unterstützung für die Vereine gearbeitet werden.
Paul: Von den Vereinen kamen auch oft Trainer in die Schule für Probesportstunden, das ging jetzt ja auch über ein Jahr lang nicht.
Luise: Ich denke, das große Drama kommt erst noch. Und wir versuchen, dem etwas entgegenzuwirken und die Kinder bei Laune zu halten. Der Schulsport ist enorm wichtig, aber im Moment kann Unterricht nur in den Kernfächern stattfinden. Wir haben unseren Schülerinnen und Schülern empfohlen, trotzdem Sport zu machen.
Paul: Ich habe dann auch teilweise das Koordinationsvideo gekürzt und für andere Lehrer ins Internet gestellt, damit sie mit den Kindern auch eine „Bewegte Pause“ machen können. Da sind Übungen wie der „Hampelmann“ dabei.
Luise: Die Kinder lechzen auch nach Bewegung. Wenn wir in der Hofpause sind, dann rennen sie, sie haben diesen natürlichen Bewegungsdrang und den sollte man komplett unterstützen. Sport ist auch ein Fach, mit dem man alle Kinder abholt. Die Kinder, die in Mathe oder Deutsch gut sind, sind vielleicht im Sport nicht ganz so gut, aber dafür können sich diejenigen im Sport beweisen, denen es in anderen Fächern nicht so leichtfällt.

Welche Auswirkungen hat der fehlende Sport(unterricht) auf die Schülerinnen und Schüler?
Luise:
Übergewicht, Rückenschmerzen, dass die Kinder unbeweglicher werden und auch die Psyche leidet darunter, denn die Kinder wollen sich ja bewegen. Wir Menschen sind ja darauf ausgelegt, uns viel am Tag zu bewegen und wenn das die Kinder nicht machen können, dann sind sie unzufrieden. Das führt zu Folgeerkrankungen, die ich mir noch gar nicht ausmalen will. Das Schlimmste ist, wenn der kindliche Körper verkümmert. Dass die Muskulatur abbaut, dass sich alles verkürzt, dass die Kinder krumm werden, weil sie so lange am Tag sitzen.
Paul: Und gerade im Wachstum ist es wichtig, dass man Sport treibt − zum Beispiel Bauch- und Rückentraining − sonst ist man später ständig bei der Physio-Therapie.
Luise: Irgendwann kann das der Körper auch nicht mehr kompensieren, wenn man so unbeweglich ist. Ich glaube, das macht den Kindern im Nachhinein noch Probleme. Man erarbeitet sich im Kindesalter den Körper, den man irgendwann mal hat und je älter man wird, desto schwerer ist es, eine Muskulatur aufzubauen. Das geht natürlich schon, aber besser ist, wenn man es gar nicht so weit kommen lässt.

Aus Sportlersicht: Wie findet ihr es, dass Chemnitz Europäische Kulturhauptstadt 2025 ist?
Luise:
Das bietet viele Chancen. Denn Sport ist Kultur und leistet einen großen Beitrag. Mit Sport kann man so viele Menschen erreichen. Zum Beispiel könnte man übergreifende Projekte realisieren, in denen man Sport und Kunst miteinander verbindet. Ich denke, da ist sehr, sehr viel möglich. Sport hat in der Stadt ja einen hohen Stellenwert.
Paul: Ich bin aus Dresden und damals hierhergekommen, weil Chemnitz in meinen Augen immer eine Sportstadt war. In Dresden konnte man beispielsweise nicht Sport studieren. Und darauf, als Sportstadt wahrgenommen zu werden zu sein, sollte man wieder mehr Wert legen.

Gibt es konkret etwas, das ihr euch wünscht bis 2025?
Paul:
Dass man für die Kinder etwas macht. Die Radtouren in Chemnitz zum Beispiel sind noch nicht überall kindgerecht, wenn man zum Teil auf Landstraßen ohne Radwege mit ihnen fahren muss. Da müsste man unbedingt noch nachbessern, dass es familienfreundlicher wird.
Luise: Generell wünsche ich mir, dass das Radfahren besser ausgebaut wird und dass die Spielplätze hergerichtet werden. Dass mehr Bewegungsmöglichkeiten für die Kinder geschaffen werden. Denn am Ende wollen alle, dass die Kinder rausgehen und dafür brauchen sie Plätze.

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