Carlowitz Congresscenter entstand direkt an der Stadthalle.
Sibylle Kasel
Macherin der Woche vom 5. Februar 2021
In den Mauern der Stadthalle stecken über vier Jahrzehnte voller Geschichten, Ereignisse und Emotionen. Wohl jeder Chemnitzer ist hier Gast gewesen und hat seine ganz persönliche Erinnerung daran. Die Stadthalle ist darum nicht nur Teil der Stadt Chemnitz, sondern Teil des Chemnitzer Lebens. Umso schöner, dass ein Teil des ehrwürdigen Ensembles in den vergangenen Monaten zu einem Kongresszentrum umgestaltet wurde.
Das Carlowitz Congresscenter Chemnitz wurde nach Hans Carl von Carlowitz, dem Begründer des modernen Nachhaltigkeitsbegriffes, benannt. Die Wirtschaft hatte den Bau eines Tagungszentrums lange gefordert. Wir sprachen mit der Innenarchitektin Sibylle Kasel, die das Congresscenter mit ihrem Büro gestaltet hat. Eins vornweg: Es ist ein wahres Schmuckkästchen geworden.
Können Sie uns kurz Ihr Gestaltungskonzept beschreiben? Lässt sich die Innenarchitektur einem bestimmten Stil zuordnen?
Sibylle Kasel: 2018 haben wir den Wettbewerb mit dem grundlegenden Thema „Nachhaltigkeit“ gewonnen und den Auftrag erhalten. „Metamorphose – Atmosphäre Natur – im gebauten Raum erlebbar machen“ hieß unsere Gestaltungsidee. Die konnten wir dann in einer modernen Formensprache unserer Zeit in die Tat umsetzen.
Im Gegensatz zur strengen Sechseck-Architektur des denkmalgeschützten Gebäudekomplexes aus den 70er Jahren haben wir freie, weiche Formen gewählt. Die Aufmerksamkeit soll sich in den Räumen auf die neuen Dinge und die neue Nutzung der Räume richten. Dennoch sollte die Wirkung der vorhandenen Strukturen nicht an Kraft und Ausdruck verlieren. Beziehungen zur vorhandenen Architektur, zu den verschiedenen notwendigen funktionalen Abläufen und Einrichtungen konnten damit fast aus jeder Perspektive hergestellt werden. Dadurch konnte die Symbiose zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen bewährter Tradition und innovativer Vision, welche das Carlowitz Congresscenter Chemnitz in Zukunft fördern will, gelingen. Visionen und neue Gedanken entstehen in freien, entspannten Köpfen, welche nicht in mathematisch, geradlinig umgrenzten Räumen mit kantigen, bizarren Formen möglich wären. Dass wir in der Natur viel besser lernen, leben und entspannen können und kreativer sind, ist wissenschaftlich lange bekannt – deshalb wurden möglichst natürliche Materialien verwendet. „Zurück zur Natur – im Aufbruch zu neuen Visionen!“ ist unsere Intention.
Der Name Carlowitz ist der Inbegriff für Nachhaltigkeit. Wie gehen Nachhaltigkeit und Innenarchitektur zusammen?
Zum einen wurden vor allem natürliche Materialien, wie nachwachsendes Holz aus der Region, Stein und Glas eingesetzt. Zum anderen ging es auch darum, für den Zweck der Nutzung möglichst haltbare, wiederverwendbare Materialien einzusetzen. Diese mussten darüber hinaus – für „Corona-Zeiten“ – auch leicht desinfizierbar sein, ohne nach kurzer Zeit die Ausstrahlungskraft zu verlieren. Weiter ist das Thema der Energieeffizienz in alle Überlegungen einbezogen worden.
Von 1969 bis 1974 schauten alle auf den Bau der Stadthalle. Während der fünf Jahre glich das gesamte Stadtzentrum einer einzigen Großbaustelle. Rund 125 Millionen DDR-Mark hat der Block 82, das sind Stadthalle und Hotel, damals gekostet. Die Verknüpfung von Hotel und Stadthalle dominiert seit nunmehr über 40 Jahren das Chemnitzer Stadtbild. Der multifunktionale Komplex, entstanden unter der Leitung des Chefarchitekten Rudolf Weißer, ist damals seiner Zeit voraus, setzte Maßstäbe. Daran will man jetzt anknüpfen. Elf Räume für Tagungen und Besprechungen für zehn bis 1000 Personen stehen im Gebäudekomplex Stadthalle/Carlowitz insgesamt zur Verfügung. Diese sind um weitere Räume im benachbarten Hotel erweiterbar. Der Raum „Vulcanus“ z.B. mit Platz für 150 Personen befindet sich dort, wo früher das Sächsische Sinfonieorchester und die Singakademie geprobt haben. Die Umbauarbeiten kosteten insgesamt rund 12 Millionen Euro.
Welche Emotionen sollen bei den Gästen geweckt werden?
Schon beim Betreten des Gebäudes werden die Gäste diesen Ort als Raum der modernen, demokratischen Begegnung mit Kunst, Kultur und Wissenschaft wahrnehmen. Sie erleben einen Ort mit positiver Identifikation, Atmosphäre und Wiedererkennung.
Dazu tragen unter anderem die vielfältigen Beleuchtungsmöglichkeiten bei, welche je nach Veranstaltungsart, Tages- und Jahreszeit die Atmosphäre gezielt prägen können. Positive Emotionen werden aber auch durch die Erfüllung der Grundbedürfnisse unterstützt: Eine gute Orientierungsmöglichkeit, kurze Wege, reine Luft, angenehme Wärme, gute Ergonomie, digitale Vernetzung und Bereiche zur Entspannung.
Gibt es eine gestalterische Verknüpfung mit der angrenzenden Stadthalle. Wie wurden „alt“ und „neu“ verknüpft?
Das war uns besonders wichtig! Das vorhandene architektonische Ensemble, zu welchem auch immer schon das angebaute Hotel-Hochhaus gehört, soll natürlich in Zukunft weiterhin eine optische und funktionale Einheit bilden. Die bisher beim Anbau des Carlowitz Congresscenter Chemnitz eingesetzten Gestaltungsideen waren bereits im Wettbewerb für die angrenzende Stadthalle weiter mit eingeflossen. Sie könnten auch im Hotelkomplex leicht weiterentwickelt werden. Hier sind wir optimistisch, dass diese Ideen im Anschluss weiterverfolgt werden, damit dann später alles harmonisch als Einheit synergetisch zusammenwirkt.
Gibt es bestimmte praktische Aspekte der Nutzbarkeit, wie flexibel sind die Räumlichkeiten?
Um Veranstaltungsorte wie diesen zeitgemäß nutzen zu können, mussten die zweckorientierten Bedürfnisse durch multifunktionale Raumgrößen beantwortet werden. Dies wird durch mobile, akustisch wirksame Trennwände, welche elektronisch gesteuert werden, möglich gemacht. Gleichzeitig sind die Möblierungs-, Beleuchtungs-, Belüftungs- und Verschattungsmöglichkeiten absolut multifunktional hergestellt worden.
Ein besonderer Hingucker ist der begrünte Glasboden im Eingangsbereich des Congresscenters. Welche Idee steckt dahinter?
Dieser begründet sich auf der schon erwähnten Konzept-Idee „Metamorphose - Atmosphäre Natur“: Im Tagungsraum „Vulcanus“, welcher sich direkt neben dem Eingangsfoyer befindet, wird die Explosion der Gedanken abstrakt durch den roten Teppichboden als die heiß austretende Lava dargestellt. Diese Lava fließt dann gestalterisch über die Wände im Tagungsraum wieder ab und sammelt sich am Boden. Sie erkaltet sozusagen in der Entspannungsphase, trocknet optisch im Foyer ab und zeigt sich am Boden als grauschwarze Magma mit organisch weißen Übergangslinien. An der Treppe und beim freistehenden Glasaufzug angekommen, entsteht das neue Leben auf einer abgesenkten, bemoosten Fläche von ca. 65 Quadratmetern in einer Art „Oase“ unter dem indirekt beleuchteten Glasfußboden.
Was war bei der Umsetzung die größte (bauliche) Herausforderung?
Ein Anbau oder Umbau ist immer viel komplizierter als ein Neubau. Das ursprüngliche Gebäude wurde unter anderen Voraussetzungen, Aufgabenstellungen und technischen Anforderungen vor ca. 50 Jahren gebaut. In diesem Zeitraum haben sich die technischen Anforderungen deutlich verändert in Bezug auf Brandschutzanforderungen, Klimatisierung, Heizung, Elektrifizierung, Interaktivität, elektronische Vernetzung, neue Kommunikations- und Medientechniken, Barrierefreiheit, etc. All diese Dinge brauchen sehr viel Raum, vor allem Raumhöhen, und sollen meist optisch verschwinden. In den 70er Jahren wurden Räume sehr niedrig gebaut. Mit dem neuen Anbau mussten wir die vorgegebenen Anschlusspunkte aufgreifen. Jeder Zentimeter musste von allen Planungsbeteiligten sehr genau durchdacht werden.
Gibt es ein besonderes Lichtkonzept?
Lichtszenerien können absolut individuell eingestellt werden. Das bedeutet, die gesamten Räumlichkeiten können je nach Veranstaltung gänzlich oder raumweise in weißes, rotes, gelbes, blaues oder grünes Licht getaucht werden. Dabei sind die Helligkeiten, die Farbwärme und Farbintensionen einstellbar.
Die Räume tragen Namen aus der Natur oder von Elementen, u. a. Aqua oder Vulcanus. Wie spiegelt sich dies in der Innenarchitektur wider?
Die spezifischen lateinischen Namen, welche sich vom Hauptthema der Nachhaltigkeit „Metamorphose – Atmosphäre Natur“ ableiten, werden im jeweiligen Raum durch verschiedene künstlerische Wandgestaltungen untersetzt, z. B.: Im Raum „Aqua“ (Wasser) durch den Künstler Rene Seifert aus Berlin, im Raum „Terra“ (Erde) durch die Künstlerin Janina Kracht aus Dresden oder im Raum „Radix“ (Wurzel) durch den Chemnitzer Künstler Peter Kallfels. Insgesamt beteiligten sich sechs Künstler an der Ausgestaltung.
Ist die Entwurfsidee des Wettbewerbs aus Ihren Augen nun Wirklichkeit geworden?
Wenn wir die in 3D-visualisierten Renderings des Wettbewerbs mit den aktuellen Fotos vergleichen, wurde das angestrebte Ergebnis erstaunlich genau getroffen. Diese neuen, technologischen Möglichkeiten unterstützen unsere Gedanken und Fantasie. Wir haben dadurch mehr Zeit, noch kreativer zu werden und dann auch frühzeitig in den Entwicklungsprozess der Ausführung einzugreifen. Die Zukunft entwickelt sich rasant und wir haben Freude daran, uns ebenfalls weiterzuentwickeln. Bei einem anderen Projekt wurden bereits 3D-Drucker bei der Planung eingesetzt.
Was sagen Sie dazu, dass Chemnitz Europäische Kulturhauptstadt 2025 ist?
Wir freuen uns sehr darüber. Das ist ein wirklich großes Geschenk für die Stadt und die Region, welches nicht nur Bedeutung für einen positiven Imagewandel hat, sondern sich in allen Belangen der Wirtschaft, Kultur und Freizeit positiv auswirken wird. Für mich als Innenarchitektin verfügt Chemnitz bereits jetzt über eine inspirierende Mixtur besonderer Architektur und über eine exzellente Kulturlandschaft, die dadurch für eine erfolgreiche Zukunft endlich im größeren Rahmen – eben „europäisch“ – viel besser wahrgenommen werden kann und wird.
Wann Gäste das erste Mal das neue Congresscenter in Augenschein nehmen können, ist aufgrund der Corona-Pandemie noch ungewiss. Aber es gibt schon hochkarätige Anmeldungen für die Räumlichkeiten. Beispielsweise wird der Deutsche Umweltpreis 2025 in Chemnitz verliehen. Die Veranstaltung soll vom 24. bis 26. Oktober im Carlowitz Congresscenter stattfinden. Die Ehrung ist mit 500.000 Euro der höchstdotierte Umweltpreis Europas. Natürlich werden im Carlowitz-Saal auch kulturelle Veranstaltungen stattfinden.
Alle Infos unter www.carlowitz-congresscenter.de