Erhalten statt zerstören

Viadukt e. V.

Macher der Woche vom 19. November 2021

Es gibt niemanden in der Stadt, der es nicht kennt: das Chemnitzer Viadukt. Ab 2013 und auf dem Weg zur Kulturhauptstadt-Bewerbung hat eine Bürgerinitiative dafür gekämpft, dass die Deutsche Bahn die denkmalgeschützte Eisenbahnbrücke nicht abreißt. Dass das Viadukt heute noch steht, verdankt es dem unermüdlichen Einsatz des Vereins »Viadukt e. V.« Die beiden Gründungsmitglieder Johannes Rödel und Frank Kotzerke haben im Oktober dafür einen Preis entgegengenommen – aber nicht nur für den Verein.


Was ist das Besondere am Chemnitzer Viadukt?
Frank Kotzerke:
Aus meiner Sicht steht das Viadukt für eine Zeit in Chemnitz, die für die Stadt eine besonders gute war, weil sie sich damals stark weiterentwickelt hat und geprägt wurde. Chemnitz hat schon so viele von den Dingen aus dieser Zeit verloren. Das Viadukt steht aber in einem Kontext, in dem man nachvollziehen kann, wie Chemnitz so um 1900 funktioniert hat.
Johannes Rödel: Der stadtbildprägende Charakter der Brücke ist wichtig. Aber auch als Ingenieurdenkmal ist sie von großer Bedeutung: Sie ist von den Ingenieuren der Königin-Marien-Hütte Zwickau konstruiert, vorgefertigt, geliefert und aufgebaut worden. Es war ein ganz modernes Bauwerk für die damalige Zeit. In der Zeit, in der es entstanden ist, galt es als Symbol für einen technischen Umbruch. Und sie ist auch ästhetisch ein interessantes und anspruchsvolles Bauwerk.

Wie kann es sein, dass das Viadukt abgerissen werden sollte, wenn es doch unter Denkmalschutz stand?
Frank Kotzerke:
Das passiert mit vielen Denkmalen. Wir vom Stadtforum befassen uns schon seit 2005/2006 damit, dass im ganzen Stadtgebiet Denkmale abgerissen wurden. Es wird immer die wirtschaftliche Balance dem Denkmalwert gegenübergestellt: Was kostet es, das Bauwerk zu sanieren, was kostet es, einen Neubau zu errichten und das alte abzureißen? Diese Rechnung kann man natürlich in jede Richtung nach Belieben verstellen. Und genauso hat das natürlich die Deutsche Bahn mit dem Viadukt gemacht – so macht es jeder Eigentümer, der lieber einen Neubau möchte als ein Denkmal zu erhalten. Und dann fällt schnell so ein Bauwerk von der Denkmalliste und verliert den Schutzstatus. Das wäre beim Viadukt so gewesen.
Johannes Rödel: Die Deutsche Bahn hat versucht, es so zu machen. Wobei die rechtliche Lage inzwischen anders eingeschätzt wird, weil das Viadukt ein Denkmal ist, das im Bundesbesitz ist. Die Bahninfrastruktur gehört der Bundesrepublik und wird von der Deutschen Bahn als privatwirtschaftlich organisiertem Unternehmen nur bewirtschaftet. Aus unserer Sicht gilt die Klausel, dass ein Denkmal abgerissen werden kann, wenn es für den Besitzer nicht zumutbar ist, für bundeseigene Objekte so nicht. Für die öffentliche Hand gibt es eine gesteigerte Erhaltungspflicht. Die Bahn gilt als ein schlechter Denkmaleigentümer und sie braucht Bürgerinitiativen, die ihr ein bisschen dabei helfen, ein besserer Eigentümer zu werden.

Wie haben Sie davon erfahren, dass das Viadukt abgerissen werden soll?
Frank Kotzerke:
Wir sind vom damaligen Leiter der Denkmalschutzbehörde angesprochen worden, dass der Abriss im Raum steht. Zeitgleich ist ein anderer Chemnitzer, der sich für den Erhalt von Bauwerken einsetzt, auf die gleiche Spur gekommen, und das haben wir dann natürlich nachverfolgt. Es hat sich bestätigt, dass die Pläne bestehen. Ich persönlich habe über den Wettbewerb zum Neubau der Bahnbrücke von der Architektenkammer erfahren. Da ging es eigentlich weniger um den Abriss.
Johannes Rödel: Ich bin 2013 dazugekommen, als es die Petition gegen den Abriss des Viadukts gab, die das Stadtforum gestartet hat. Wir wollten die Petition unterstützen, wir wollten etwas tun, wir wollten helfen. So sind wir beide in Kontakt gekommen.

Und daraus ist die Bürgerinitiative zur Rettung des Viadukts entstanden?
Johannes Rödel:
Es gab schon zwei Gruppierungen: das Stadtforum und Stadtbild Chemnitz, die ursprünglich die Petition gestartet hatten. Gemeinsam mit der Familie Morgner haben wir im Morgner-Archiv eine Fotoausstellung über Industriearchitektur in Chemnitz zusammengestellt, um Menschen zu mobilisieren und die Petition zu unterstützen. Wir haben dazu Vorträge organisiert und dadurch ist der Kreis größer geworden. Später haben wir beschlossen, dass wir einen Verein gründen, weil absehbar war, dass es im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens günstig ist, wenn man eine juristische Person ist und nicht nur eine Bürgerinitiative. Das war unsere Gründungsgeschichte.

Eine Planfeststellung ist ein Verfahren, in dem herausgefunden werden soll, ob ein Bauwerk im öffentlichen Raum abgerissen, neu gebaut oder verändert werden darf. Bauvorhaben, die die Eisenbahn betreffen, müssen immer durch solche Verfahren vom Eisenbahnbundesamt überprüft werden, das die Entscheidung über das Vorhaben trifft. Auch im Fall des Chemnitzer Viadukts und weiterer denkmalgeschützter Brücken hat die Deutsche Bahn 2016 ein Planfeststellungsverfahren beantragt. Etwa sechs Wochen lang konnten Bürger:innen aus Chemnitz ihre Meinung zu diesem Plan bei der Behörde einreichen. Das hat ihnen der Verein erleichtert:

Wie haben Sie es geschafft, das Eisenbahnbundesamt davon zu überzeugen, dass das Viadukt erhalten bleiben muss?
Frank Kotzerke:
Es gab den Beteiligungsprozess im Planungsverfahren. Wichtig war, dass wir bis zum Beginn des Verfahrens genügend Menschen auf unsere Seite bekommen – aus der Politik und aus der Bürgerschaft. Das hat dann natürlich die Entscheidungsträger beim Eisenbahnbundesamt dazu bewogen, die Empfehlung eher in unsere Richtung zu tendieren.
Johannes Rödel: Die Deutsche Bahn hat es auf eine rechtliche Konfrontation angelegt. Sie war vorher nicht kompromissbereit, wollte nicht über Erhaltungsvarianten diskutieren, die jetzt ja ausgearbeitet sind, sondern hat gesagt, sie lassen in dem Planfeststellungsverfahren entscheiden, wer Recht hat. Darauf haben wir uns gut vorbereitet, auch mithilfe von Unterstützern, von Fachleuten. Ich weiß nicht, welches Argument das war, das am meisten gezählt hat. Aber das Eisenbahnbundesamt hat uns im Fall des Viaduktes in allen Punkten Recht gegeben. Wir haben von allen Seiten, die beteiligt waren, und am Ende eben auch von der Politik – die Stadt Chemnitz hat auch im Planfeststellungsverfahren gesprochen – Unterstützung erhalten. Und wenn dann die technischen Aspekte auch noch dafürsprechen, dass es möglich ist, das Viadukt zu erhalten, dann konnte das Eisenbahnbundesamt gar nicht anders entscheiden. (lacht)


Wie war die Beteiligung am Planfeststellungsverfahren?
Johannes Rödel:
In größeren Planvorhaben muss der Vorhabensträger erklären, was er vorhat und dann können Bürger, die davon betroffen sind, sich dazu äußern. Dafür haben wir eine Mustereingabe verfasst, in der stand, inwiefern das Viadukt für das Stadtbild bedeutend ist, warum es für die Geschichte wichtig ist. Darin war formuliert, warum der normale Bürger betroffen ist und warum wir aus diesen Gründen etwas dagegen haben, das Viadukt abzureißen. Diese Mustereingabe haben wir auf unserer Internetseite veröffentlicht und viele Leute haben sie ausgedruckt, noch etwas daruntergeschrieben und sie an die Landesdirektion geschickt.

Haben Sie sich persönlich mit Mitarbeitern der Deutschen Bahn getroffen?
Johannes Rödel:
Ja. Wir haben den damaligen Regionalbevollmächtigten der Deutschen Bahn, der für Mitteldeutschland zuständig ist, angeschrieben und uns ein Gespräch gewünscht. Wir waren uns eigentlich sicher, dass er das nicht vor dem Planfeststellungsverfahren tun wird. Aber überraschenderweise hat er relativ schnell einen Termin gemacht. Er war hier, hat die Brückenwerkstatt aus Dresden mitgebracht als Stahlbaufachleute, die in dem Verfahren nicht involviert waren. Er hat es sich von uns alles erläutern lassen. Das war ein konstruktives Treffen. Und natürlich gab es zu den Anhörungsterminen auch immer wieder Gelegenheiten, mit den Verantwortlichen für das Verfahren zu sprechen und sich auch einmal auszutauschen.
Frank Kotzerke: Das erste Gespräch war auch nicht reserviert, wie man es vielleicht vermutet: Der Bahnverantwortliche ist nicht mit einer ablehnenden Haltung gekommen. Er hat sich das wirklich erst einmal detailliert angehört und zugegeben, dass er zum ersten Mal unter dem Viadukt gestanden hat und beeindruckt war.
Johannes Rödel: …und er hat auch die Geschichte verstanden. Warum die Chemnitzer das überhaupt interessiert, warum sie so offensichtlich an einer Brücke hängen. Ich glaube, das war auch sein eigentliches Interesse: Er wollte die Leute kennenlernen, die das betreiben. Ich habe das auch als sehr konstruktives Gespräch in Erinnerung.

Das Eisenbahnbundesamt entschied 2018, dass die Deutsche Bahn das Viadukt sanieren muss. Wie haben Sie sich damit gefühlt?
Johannes Rödel
: Großartig, wir haben gefeiert!
Frank Kotzerke: Alle, mit denen wir gesprochen haben, die ständig mit solchen Dingen umgehen, haben gesagt, unsere Chancen sind gering. Sie haben sich natürlich gesteigert im Laufe der Zeit, aber alle haben gesagt, gegen so einen Gegner wie die Bahn ist es fast aussichtslos. Deswegen war es natürlich in erster Linie Freude, aber auch ein bisschen Erleichterung.
Johannes Rödel: Ich wäre sehr enttäuscht gewesen, wenn das anders ausgegangen wäre.

Sie haben die Silberne Halbkugel des Deutschen Preises für Denkmalschutz 2020 und damit die höchste Auszeichnung für Denkmalschutz erhalten, die in Deutschland vergeben wird. Was bedeutet Ihnen das?
Frank Kotzerke:
Das ist eine Auszeichnung, die nicht alles abdeckt: Wir als Verein haben sie zwar bekommen, aber viel mehr Menschen in Chemnitz sollten damit gewürdigt werden, die sich angestrengt und dazu beigetragen haben, dass die Brücke heute noch erhalten ist. Vielleicht sollte man so etwas benutzen, um deutlich zu machen, dass es sich lohnt, sich für eine Sache einzusetzen. Dass man auch zum Vorteil der Mehrheit gegen eine Institution gewinnen kann.
Johannes Rödel: Ich habe mich gefreut, dass das Deutsche Nationalkomitee für Denkmalschutz so eine Bestrebung für eine alte Eisenbahnbrücke würdigt.

Sie waren aktiv an der Kulturhauptstadtbewerbung beteiligt. Was ist dabei entstanden?
Johannes Rödel:
Das Viadukt ist eine der Interventionsflächen der Stadt. Im Rahmen des Projektes Stadt am Fluss ist das Viadukt ein Standort. Es gab ein Bürgerbeteiligungsverfahren, bei dem verschiedene Projekte oder Objekte vorgestellt wurden. Dabei ist das Viadukt als eins von sechs Projekten ausgewählt worden. Was jetzt dort wirklich passiert, das ist noch eine andere Frage. Die Umfeldgestaltung ist uns ganz wichtig, dafür wollen wir uns engagieren. Es ist meine Meinung, dass die Bürger aus den Stadtbezirken mitreden sollten. Da gab es auch schon Vorschläge. Ich denke, dass wir den Ort des Viaduktes und seine symbolische Bedeutung noch ein bisschen nutzen sollten. Meine Ideen gehen in zwei Richtungen: einerseits die Vernetzung ähnlicher Initiativen in Europa. Wir sind in Sachsen nicht die einzigen, die Probleme haben, technische Denkmale zu erhalten. Und andererseits das Thema Kunst am Bau. Es ist sehr viel Kunst am Bau in der Stadt verschwunden. Wo ist sie? Das fände ich auch im Rahmen der Kulturhauptstadt ganz interessant.

Was wünschen Sie sich für das Kulturhauptstadtjahr 2025 – für Chemnitz und für Ihren Verein?
Frank Kotzerke:
Erstmal für Chemnitz natürlich viele Besucher, die interessiert hierherkommen und dass Chemnitz auch ein bisschen vom grauen Image verliert. Dass man die Chemnitzer mitnimmt, ihre Stadt anders zu entdecken und anders wahrzunehmen, als sie es vielleicht jetzt tun.
Johannes Rödel: Natürlich wünsche ich mir, dass das Viadukt dann fertig ist und die Bauarbeiten im Zeitplan. Für den Verein wünsche ich mir, dass es uns noch gibt (beide lachen).

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