Im Strom

Joseph Heß

Macher der Woche vom 3. Juni 2022

1232 Kilometer hat er sich vorgenommen. In 25 Tagen will er diese Distanz schaffen. Schwimmend! Durch eine der vielbefahrensten Wasserstraßen Europas – den Rhein. Was ziemlich verrückt klingt, ist für Joseph Heß vor allem ein großes Abenteuer. Der 34-Jährige startet am 11. Juni an der Rheinquelle Tomasee in der Schweiz und will am 6. Juli die Mündung bei Rotterdam erreichen. Warum Joseph Heß seine Grenzen kennenlernen will und wie er sein Anliegen mit der Europäischen Kulturhauptstadt 2025 verknüpft, erzählt er im Macher der Woche-Interview.


Herr Heß, wenn alles gut läuft, schwimmen Sie die Distanz ohne Ruhetag. Das heißt, täglich rund 50 Kilometer. Was tut nach so einem Tag am meisten weh?
Joseph Heß:
Unterschiedlich (lacht). Die Schultern machen erstaunlich gut mit. Da habe ich mir so eine flutschige, fließartige Kraultechnik beigebracht. Ansonsten sind es immer Kleinigkeiten. Zurzeit macht mir mein Ohr etwas Probleme mit Entzündungen, aber da werde ich angepasste Ohrenstöpsel nehmen. Bei mehreren Tagesetappen reibt zudem der Neopren-Anzug extrem am Hals. Da kann es zu offenen Stellen kommen. Das war bei Andreas Fath, der 2014 den Rhein entlang geschwommen ist, fast ein Killerkriterium.

Wie laufen die Etappen ab? Schwimmen Sie durch?
Ich stehe früh auf und schmiere mich zuerst mit Sonnencreme ein, damit die einziehen kann. Dann esse ich – sehr, sehr viel. Nudeln, Vollkornbrot, Grießbrei und zuckerhaltige Getränke. Spätestens um 9 Uhr geht’s ins Wasser. Nach einer Stunde wird versorgt. Das heißt, ich halte mich am Kajak fest, esse eine Banane oder trinke etwas. Danach verkürzt sich der Turnus auf jede halbe Stunde. Zur Mittagszeit geht’s dann einmal raus aus dem Wasser. Ich esse was, lasse es eine halbe Stunde anverdauen und dann geht es weiter im 30-Minuten-Turnus.

Nachdem Joseph Heß schon in der dritten Klasse sein Gold-Abzeichen im Schwimmen hatte, absolvierte er irgendwann sein erstes 24-Stunden- Schwimmen – und wurde direkt Dritter. 2016 schwamm er durch die Straße von Gibraltar, 2017 durch den Bodensee, danach durch die Elbe und von Sardinien nach Korsika. 2018 durchschwamm er die zehn größten Seen Deutschlands.

Wie lange werden Sie pro Tag im Rhein im Wasser sein?
Das hängt davon ab, wie schnell das Wasser fließt. Es werden wohl bis zu acht Stunden sein. Ich schwimme auf Langstrecke zwischen dreieinhalb und vier Kilometer pro Stunde. Im Alpenrhein schwimme ich im Badewannen- Stil, also Füße voraus, damit ich mir nicht irgendetwas breche, wenn ein Stein kommt. Im Bodensee gibt es keine Strömung, dort werde ich mit Pausen und mal auf Toilette gehen neun oder zehn Stunden brauchen. Ab dort planen wir konstante Tagesetappenlängen von 50 Kilometern.

Wie geht es Ihnen nach so einer Etappe?
Ich bin ein gnadenlos optimistischer Mensch. Klar bin ich ein bisschen erschöpft, aber es kommt auf die Tagesform an. Es gibt Momente, da ist man matschig im Kopf. Ich schmeiße ja den ganzen Tag meinen Kopf von links nach rechts – ich vergleiche das immer mit dem ekstatischen Tanz von Ureinwohnern. So ist es auch beim Schwimmen. Ziel ist ein Flow-Gefühl, das einen Raum und Zeit vergessen lässt. Dieses Gefühl besteht zum Teil auch noch danach. Oft lege ich mich erstmal auf den Steg auf den Rücken, um meinen Gleichgewichtssinn wiederherzustellen.

Wie kraulen Sie, wie oft holen Sie Luft?
Alle drei Schläge. Also Luft holen – Schlag – Schlag – Luft holen. Teilweise auch alle fünf Schläge, weil ich dadurch sowohl rechts als auch links sehe, was passiert. Mit meinem Kanuten, der die ganze Zeit neben mir ist und mich manövriert, habe ich Handsignale ausgemacht. Wir sprechen ja nicht in der Zeit, es ist ein sehr einsamer Sport.

Woran denken Sie in den vielen Stunden?
Meine Frau macht sich ein bisschen lustig darüber, aber ich erzähle das, weil es wirklich so ist: Ich lege mir vorher gerne kleine Problemchen oder Gedankenfetzen zurecht, die ich im Wasser zu Ende denke. Und irgendwann stellt sich hoffentlich dieser Flow ein.

Joseph Heß ist Doktor der Wirtschaftswissenschaften und leitet an der TU Chemnitz den Accelerator. Das bedeutet, er betreut die Start- Ups. Geboren ist Joseph Heß in Berlin, aufgewachsen in Thüringen. Nach Chemnitz kam er zum Studium und ist der Liebe wegen geblieben. Inzwischen hat er in Wittgensdorf ein Haus gebaut.

Wo trainieren Sie?
Den Großteil des Winters war ich im Stadtbad. Auch der Schwimmclub Chemnitz hat mir fast täglich Schwimmzeiten eingeräumt im Sportforum. Ich bin aber auch im Winter jede Woche ins Freiwasser gegangen: Hainer See, Elbe, Berlin am Schlachtensee. Im Stausee Rabenstein trainiere ich auch, doch da bekommt man als Langstreckenschwimmer schnell einen Drehwurm.

Was ist die größte Herausforderung auf dem Rhein?
Auf der Elbe wurden ganze Häfen für mich gesperrt, auf dem Rhein ist das nicht so. Das ist in Ordnung, denn es ist eine wesentlich größere Handelsstraße. Ich habe ein Jahr lang mit den Ämtern gekämpft bezüglich Genehmigungen. Denn allgemein gilt das Verbot, bei baulichen Anlagen zu schwimmen: Brücken, Zufahrtsstraßen und natürlich Häfen. In den Genehmigungen wurde das für mich etwas aufgeweicht, dennoch darf ich die Schifffahrt nicht blockieren, was ich absolut verstehe. Dann werde ich vielleicht für 500 Meter aufs Motorboot gehen und hüpfe wieder ins Wasser. Ich strebe ja keinen Weltrekord an und muss irgendwelche Regeln einhalten. Es ist allein der Abenteuergedanke.
Die Niederlande stellt sich noch ein bisschen quer, weil sie aus Spargründen nicht mehr ausreichend Wasserschutzpolizei im Einsatz hat. Auch Hochwasser ist gefährlich. Von Chur bis Basel begleitet mich ein Rekordjäger, der schon zweimal versucht hat, mit dem Kajak der schnellste Mensch durch den Rhein zu sein. Er musste beide Male wegen Hochwasser abbrechen. Auf seinen Rat verlasse ich mich.

Und die Verschmutzung?
Ebenfalls ein Problem. Ich habe den Eindruck, dass man als Flussschwimmer zwangsläufig irgendwann Magen-Darm aus dem Wasser mitbringt und sein ganzes Team ansteckt. 2014 hat Professor Fath, der Hydrochemiker ist, viele Wasserproben genommen. Jetzt sammele ich wieder Proben, er leitet eines der mich begleitenden Forscher-Teams.

Sie werden wissenschaftlich breit begleitet. Warum?
Ich wollte das mit irgendetwas verbinden. Das Schwimmen ist zwar nett, aber zu sehr Ich-zentriert. So sind nun die Sport-Psychologen aus Leipzig und die Sportmediziner von der TU Chemnitz dabei, dazu die Hydrochemie von Andreas Fath. Und von der Hochschule Mittweida kommen Medienpädagogik und Energiemanagement dazu, die dazu sogar eine Startnext-Kampagne gestartet haben. Jeder leistet seinen Mikrobeitrag.

Warum tun Sie sich das an?
Ich habe einen Schreibtisch-Job, sitze den ganzen Tag auf meinem Hintern. Für mich ist Schwimmen der Ausgleich. Ich habe aber auch mit Schwimmen pausiert, als ich mein Haus gebaut habe, ich bin also nicht der Irre, der nur schwimmen kann. Aber es macht mir einfach Freude, dieses Abenteuer, das darum entsteht. Es geht um ein selbstbestimmtes Leben und ein kleines Stück Selbstverwirklichung. Die Haupttriebfeder aber sind die Synergien: Forschungsinstitute begleiten mich und ich kann etwas für das menschliche Wissen tun. Und dann noch die Verbindungen, die sich zwischen den Menschen ergeben: Eine Uhrenmanufaktur möchte, dass ich ihre Uhr teste, manche Leute wollen ein Stück mitschwimmen oder an den Rhein kommen, um Essen vorbeizubringen. Die Teamdynamik, die sich entwickelt, ist einfach eine Freude.

Sie verteilen in vielen Städten entlang des Rheins Einladungen nach Chemnitz für 2025 und überbringen damit die Botschaft der Kulturhauptstadt. Was ist Ihr Gedanke dahinter?
Ja, darum habe ich mich bemüht, denn ich möchte für meine Stadt, die mich aufgesogen hat, eine gute Botschaft hinaustragen. Ich finde das so faszinierend: Wenn die Niners Erfolge feiern oder wenn Kraftklub ein neues Album rausbringt, dann wird immer gesagt: Wichtige Botschaft, dass Chemnitz auch anders kann. Da denke ich mir: Leute! Nee, es ist doch schön hier. Immer dieses pauschal auf negativ Hämmernde, das möchte ich nicht. Vielleicht kann ich meinen Mikrobeitrag leisten und den Kulturhauptstadt- Gedanken nach außen tragen, um den ein oder anderen nach Chemnitz zu locken und der Stadt eine Chance zu geben. Für 2025 wünsche ich mir ein schönes Programm und langfristig eine Attraktivitätssteigerung, sodass vielleicht der ein oder andere hierherkommt und hierbleibt. So wie ich.

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