Mit Ehrgeiz zur Leichtigkeit
Monika Scheibe - Chemnitzer Eislauf-Club e.V.
Macherin der Woche vom 15. Juli 2022
Mehr als 50 Jahre lang prägte sie den Eiskunstlauf in Chemnitz, betreute die Leistungsspitze des Chemnitzer Eislauf- Clubs im Paar-und Einzellauf. Zehn Medaillen bei Olympia und anderen internationalen Wettbewerben holten die Schützlinge von Monika Scheibe, die nun ihre aktive Trainerlaufbahn beendet hat. Im Macherin der Woche-Interview blickt die 73- jährige Chemnitzerin auf diese Zeit zurück.
Frau Scheibe, was macht einen guten Trainer aus?
Monika Scheibe: Das müssen Sie die Sportler fragen.
Und wenn ich Sie frage?
Man muss ein zuverlässiger Ansprechpartner für die Sportler sein. Als Trainer trägst du eine Verantwortung für die Sportler. Es war mir immer wichtig, ihre Probleme ernst zu nehmen. Außerdem ist es wichtig, sich als Trainer weiterzuentwickeln, weiterzubilden und das eigene Tun zu hinterfragen: Ist das das Richtige? Hilft das jetzt dem Sportler?
Man ist also auch Seelentröster?
Ja, Seelsorger. Reisender Seelsorger. Zu den Wettkämpfen und Lehrgängen verbringt man viel Zeit zusammen. Und spricht über Dinge, die abseits des Sports liegen. Die Lösung muss jeder für sich finden, aber ich kann Denkanstöße geben. Das sind schließlich Menschen und keine Marionetten auf dem Eis.
Als Trainer muss man auch mal streng sein, oder?
Ja, das gehört dazu. Motivation ist ganz wichtig, aber man kann nicht immer nur loben, loben, loben. Als Trainer musst du glaubwürdig sein und sagen können: Das war nicht gut. Den Fehler bewusst zu machen und wie er zu vermeiden ist, das hilft dem Sportler oft mehr. Und danach nimmt man ihn in den Arm und sagt: „Komm, nochmal!“ Ein Sportler braucht ab und an den Tritt in den Hintern, dass er weiß, was er will, und tut, was er will, und sich nicht treiben lässt.
Sie wurden vor wenigen Tagen offiziell verabschiedet. Wie geht es Ihnen damit?
Gut. Ich gehe mit einem guten Gefühl. Wenn Bedarf besteht, stehe ich ja weiter zur Verfügung. Aber ich muss jetzt nicht mehr von Montag bis Samstag in der Trainingshalle sein und kann meinen Urlaub ohne Rücksicht auf Wettkämpfe und Lehrgänge planen. Ich hatte das ja lange geplant, frühzeitig informiert und schon mit 70 keine neuen Sportler mehr genommen, denn das wäre unfair gewesen.
Warum haben Sie aufgehört?
Ich habe mich gefragt, warum willst du erst aufhören, wenn du nicht mehr kannst? Ich bin fit wie ein Turnschuh, ich freue mich aufs Wandern in den Bergen und auf meine Familie. So oft musste ich ihr sagen: Tut mir leid, ich habe keine Zeit. Wenn mich jetzt meine Familie fragt, kann ich sagen: Ich kann, ich komme.
Was machen Sie nun?
Erstmal Urlaub. Ich bin meinem Verein sehr dankbar für die Unterstützung, auch meinen Trainerkollegen, dem Sächsischen Eislaufverband und der Stadt für die Anteilnahme und den Rückhalt all die Jahrzehnte. Und natürlich meiner Familie. Sie hat mit mir Freude erlebt und mitgelitten.
War der Verein für Sie eine zweite Familie?
Er war die Familie. Ich war ja mehr im Eisstadion als zu Hause. Insofern ist kein Erfolg ein Einzelwerk.
Wie sind Sie zum Eislaufen gekommen?
Es war vielleicht in der zweiten Klasse, da haben meine Schwester und ich ein Mädchen kennengelernt, das Rollschuh gelaufen ist. Wir haben dann zugeguckt beim Training, damals bei Jutta Müller. Wir haben gefragt, ob wir mitmachen können und sie meinte: Im Winter machen wir aber Eiskunstlauf. Meine Schwester und ich wussten vermutlich gar nicht, was das ist, und haben einfach zugesagt. Damals hatten wir noch keine Halle, nur eine Eisfläche und Holzbänke als Garderobe. Und die Oma brachte das Mittagessen vorbei. Es gab Winter, da haben wir die Fläche so lange vom Schnee freigeschippt, bis die Trainingsstunde vorbei war und die nächste Disziplin aufs Eis kam.
Was macht für Sie die Faszination des Eiskunstlaufs aus?
Das Gleiten auf dem Eis bringt Leichtigkeit, dazu Sprünge, Pirouetten, Paarlaufelemente in Verbindung mit Musik und Tanz. Das ist ein tolle Symbiose. Es ist schon unglaublich, dass man sich mit zwei Kufen an den Füßen nicht nur geradeaus bewegen kann, sondern bei entsprechender Sprunghöhe und Winkelgeschwindigkeit in der Lage ist, sich in der Luft mehrfach um die eigene Achse zu drehen und auf einem Fuß zu landen. Der eigenen Kreativität sind wenig Grenzen gesetzt.
Wie hat sich der Sport verändert?
Die Artistik hat sehr an Qualität gewonnen. Der Schwierigkeitsgrad ist enorm gewachsen. Das Zeitalter der Vierfach-Sprünge ist angebrochen, nicht nur bei den Männern, sondern auch bei den jungen Damen. Pirouetten und Schrittfolgen erfahren immer mehr Beachtung im Regelwerk. Da frage ich mich schon: Wo soll das noch hinführen?
Und wie lautet Ihre Antwort?
Inzwischen kann ich mir vorstellen, dass die Sprung-Kombination Vierfach- Vierfach und mehr möglich ist. Vor sieben, acht Jahren hätte ich noch gesagt, das geht nicht. Wo die Grenzen liegen, wird die Zukunft zeigen. Trotzdem sollte der Eiskunstlauf so wunderschön und so reich an Facetten Bestand haben.
Mit 18 Jahren wurde Monika Scheibe Übungsleiterin. Mindestens 20 Paare hat sie in ihrer Laufbahn betreut. Hinzu kommen zahlreiche Einzelläufer. Ihr gelang es, Chemnitzer Paare in die Weltspitze zu führen (wie zum Beispiel Mandy Wötzel und Ingo Steuer) und diese über viele Jahre mitzubestimmen – angefangen vom Juniorenbereich bis zu den Erwachsenen. Ihre Schützlinge holten insgesamt zehn Medaillen – von Gold bei der Junioren- WM über EM- und WM-Titel bis hin zu Bronze bei den Olympischen Spielen 1998.
Welcher Erfolg ist Ihnen am meisten im Gedächtnis geblieben?
Jede Medaille weckt große Emotionen in mir. Aber das Überraschendste war sicher die Silbermedaille von Wötzel und Rauschenbach zur EM in Birmingham. Das war noch vor der Wende. Die beiden waren international noch nicht lange gestartet und wir hatten die russischen Paare viel stärker eingeschätzt. Dass Mandy und Axel dort ihre Leistung so abrufen konnten, war sensationell. Auch das Gold von Wötzel und Steuer bei der EM 1995: Dass die beiden sich innerhalb eines Jahres bis an die Spitze gearbeitet hatten, war überragend.
Für den Erfolg kommen offenbar viele Komponenten zusammen.
Sehr viele. Man braucht den Ehrgeiz, muss dafür brennen. Man muss sich das Lebensumfeld so einrichten, dass Leistungssport möglich ist. Die Eltern müssen das unterstützen. Mandy und Ingo wollten unbedingt zusammenlaufen, das war die Chance ihres Lebens. Ich habe die beiden gefragt, wie das gehen soll, denn sie waren wie Hund und Katz. Doch sie haben mich eines Besseren belehrt und haben miteinander ihre Stärken herausgearbeitet. Das gemeinsam aufs Eis zu bringen, war die härteste Arbeit.
Siege sind das eine. Sind Ihnen noch schwierige Situationen in Erinnerung?
Es gibt Stürze, die konnte ich nicht verhindern. Einer davon ist der Sturz bei den Olympischen Spielen 1998 von Mandy Wötzel und Ingo Steuer. Als Trainerin hat man manchmal einen siebten Sinn und spürt, ob alles »normal« abläuft oder eben nicht. Trotzdem ist man kein Hellseher. So geschehen eben auch Unfälle an den Stellen im Programm, wo man es nicht erwartet. Und das sind nicht immer die schwierigsten Elemente.
Haben Sie noch Kontakt zu Ihren früheren Schützlingen?
Ingo Steuer übernimmt ja meinen Job. Jedes Jahr am zweiten Weihnachtsfeiertag treffen sich die Ehemaligen. Das ist schön zu sehen, was aus ihnen geworden ist. Man hat den Sportlern ja etwas fürs Leben mitgegeben.
Das Eismärchen gäbe es ohne Sie vermutlich nicht. Bleiben Sie dabei?
Ich denke schon. Ich habe schon Ideen für nächstes Jahr.
Was wünschen Sie sich für Chemnitz als Kulturhauptstadt im Jahr 2025?
Ich beziehe Eiskunstlauf als Kultur ein und da wünsche ich mir, dass der Eiskunstlauf weiter die Unterstützung der Stadt erhält, damit wir diese schöne Sportart weiterhin auf so hohem Niveau betreiben können. Und ich hoffe, dass die Kulturhauptstadt nicht nur bis 2025 wirkt, sondern darüber hinaus. Denn nicht nur der Augenblick zählt.